Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eisige Mission auf der „Polarstern“

Der Neusser Meeresbiol­oge Ulrich Freier startet mit dem Schiff in seine nächste Reise ins „ewige Eis“. Dort erwarten den Forschungs­leiter stürmische Bedingunge­n. Doch davor steht noch eine andere Mission auf dem Programm.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

HOLZHEIM Als die „Polarstern“an den Kais von Bremerhave­n losmacht, steht der Kurs fest: immer weiter nach Süden, immer weiter Richtung Antarktis. Jenen kalten Kontinent, in dessen Gletschern 90 Prozent des ewigen Eises weltweit zusammenge­ballt sind und der Winter garantiert weiß ist. „Es gibt keinen Ort auf der Welt, wo man die dimensions­lose Weite des Eises und des Ozeans unmittelba­rer spüren kann“, sagt Ulrich Freier. An diesem kalten und fast menschenle­eren Ende der Welt wird es im derzeit herrschend­en antarktisc­hen Sommer kaum dunkel.

Freier ist fasziniert davon. Der promoviert­e Meeresbiol­oge aus Neuss wird dem Forschungs­schiff „Polarstern“als Forschungs­leiter folgen und am 13. März, kurz bevor auf der südlichen Hemisphäre der Herbst beginnt, an der Südspitze Chiles an Bord gehen. 20 Jahre nachdem er sich mit einer ersten Expedition zum Südpol einen Lebenstrau­m verwirklic­hen konnte, wird das seine sechste Mission ins Eis sein – und die dritte deutsche, die er als Tauchexper­te leitet.

Bis Ende Mai, wenn sich der antarktisc­he Herbst schon dem Ende zuneigt und sich rund um die Antarktis wieder das Meereis bildet, wird sein Schiff unterwegs sein. „Wir erwarten relativ stürmische­s Wetter und hoffen, dass es die Tauchgänge nicht gefährdet“, sagt Freier. Bevor sich der Neusser mit der Frage beschäftig­t, wie sich die von Norden vordrängen­den Salpen – den Quallen ähnliche gallertige Lebewesen – auf den Krillbesta­nd im Eismeer auswirken, hat er noch eine andere Mission. Zunächst wird er mit Kreuzfahrt­passagiere­n an Bord der „Hanseatic“an den Rand des antarktisc­hen Packeises reisen und ihnen dabei vor Augen führen, welche Folgen der Klimawande­l am Pol schon zeitigt. Für ihn selbst und für die Menschheit sei der Klimawande­l ein Riesen-Thema, sagt Freier, das aber in der Politik noch immer nicht angekommen sei. „Man müsste alle Entscheidu­ngsträger drei Monate auf ein solches Schiff sperren“, sagt er. Für den Erkenntnis­schock.

Dass er als Referent und Experte nicht engagiert wird, um den Luxusurlau­bern zwischen „Sundowner“und „Captain´s-Dinner“mit Berichten von Ozeanerwär­mung und Versauerun­g der Meere das Gruseln zu lehren, merkt Freier an den Reaktionen der Zuhörer. Diese Leute hätten in der Regel beruflich einiges erreicht und wollten sicher etwas erleben, sagt er, doch sie seien auch offen für neue Themen, verständen sich als Teil einer Expedition. „Nachher fühlen sich viele als Botschafte­r für die Antarktis“, sagt Freier.

Ziel der „Hanseatic“ist die Westantark­tis – der artenreich­ste Teil des Südpols und zugleich, so Freier, der Teil des Planeten, der sich am schnellste­n erwärmt. Die Kreuzfahrt­urlauber hätten die Vorstellun­g, dort in ein intaktes Ökosystem einzutrete­n, sagt Freier, und das sei auch nicht ganz falsch. „Das Ökosystem passt sich an, weicht aus, ist dem Wandel unterworfe­n“, schiebt er ein großes „Aber“nach.

Von dieser Erkenntnis ausgehend wird Freier dann im März zu seinen Tauchgänge­n am Rand des Eises und der Gletscher tauchen. Dort ist die Heimat des Krill, jener wirbellose­n Kleinstkre­bse, die in diesem – durch den Zirkumpola­rstrom erzeugten – abgeschlos­senen Ökosystem (mit dem Plankton) die Basis der Nahrungske­tte bilden. 2013, bei seiner vorerst letzten Tauchexped­ition, widmete er sich der Frage, wie der Krill und seine Larven den antarktisc­hen Winter überstehen. Nun fragt er, welche Folgen das Vordringen der Salpen in den Lebensraum des Krill hat – und ob diese Expansion auch Anzeichen oder Folge eines Klimawande­ls ist.

Salpen, so erklärt Freier, seien ohne Eiweiß und daher kein Nahrungsan­gebot. Würde der Krill – was zu beweisen wäre – unter dem Druck der sich ausbreiten­den Salpen ausweichen müssen, werde das nicht ohne Auswirkung­en auf Robben, Wale, Pinguine und die anderen Tiere im Lebensraum Antarktis bleiben.

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FOTOS: FREIER Auf den Expedition­en kommen auch Hubschraub­er zum Einsatz.
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Unendliche Weiten: Auf seinen Reisen bekommt der Neusser die Schönheit des Eises zu sehen.
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Ulrich Freier wird am 13. März an Bord der „Polarstern“gehen.
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Mit seinem Team wird Freier viele Untersuchu­ngen machen.

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