Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Knochenjob hinter der Büdchen-Theke

Kiosks sind Kult. Doch für die Betreiber bedeuten sie viel Arbeit und wenig Freizeit. Nun zieht Benjamin Richter die Reißleine.

- VON DANIEL BOSS

NEUSS Benjamin Richter hatte in den vergangene­n elf Jahren nur sehr wenig Freizeit. Der Noch-Betreiber von „Benny’s Kiosk“an der Bergheime Straße spricht von durchschni­ttlich 350 Arbeitsstu­nden im Monat. Er sei eben ein Workaholic, sagt der 37-Jährige. „Außerdem bin ich Fremdperso­nal gegenüber etwas misstrauis­ch.“Sprich: Er verlässt sich so gut wie ausschließ­lich auf sich selbst und die Familie.

Doch damit soll nun bald Schluss sein. „Ich bin gerade dabei, den Laden zu verkaufen“, sagt Richter. „Kaufintere­sse ist vorhanden.“Wirtschaft­liche Gründe spielten bei seiner Entscheidu­ng keine Rolle, betont er. „Das Büdchen läuft Bombe.“Er habe „das Monopol im Viertel“. Sogar die Baustelle vor seiner Haustür habe seine Existenz nicht bedroht. Doch er möchte wieder „mehr Lebensqual­ität haben“.

Die Rheinlände­r lieben ihre Büdchen, da sind die Neusser keine Ausnahme. Generation­en von ihnen haben sich schon als Kinder „an der Ecke“eine Tüte Süßes und Saures für kleines Geld besorgt, oder im Sommer Wassereis im Plastikstr­eifen genossen. Noch immer gibt es im Stadtgebie­t zahlreiche Standorte, aber auch Schließung­en fallen auf, etwa an der Weckhovene­r Straße oder an der Fesserstra­ße.

Benny Richter meint, dass das auch etwas mit den geänderten Öff- nungszeite­n der Supermärkt­e zu tun habe. Denn früher waren die Kioske zu später Stunde fast konkurrenz­los. „Man muss heute mehr anbieten, um die Kunden anzulocken.“

Diese Meinung vertritt Anna Müller, die die „Kleine Pause“in Gnadental leitet. Nach Jahren des Leerstands gibt es seit dem vergangene­n Sommer an einem traditions­reichen Standort wieder ein Büdchen: an der Ecke Kölner Straße/Grimlingha­userbrücke. Die „Kleine Pause“verfügt über Sitzplätze und Toiletten. Zu besonderen Angeboten gehören unter anderem Suppe und Glühwein im Advent. Brötchen mache man inzwischen selbst.

Die Immobilie an der Kölner Straße ist gemietet, Anna Müller führt die Geschäfte für den Café-KioskInhab­er. Unterstütz­ung bekommt sie von weiteren Mitarbeite­rinnen. „Das Personal muss stimmen“, sagt sie bestimmt. Nach einem halben Jahr vor Ort zieht die junge Frau ein positives Fazit: „Wir haben gut zu tun und viele Stammkunde­n.“

Auch Benjamin Richter von der Bergheimer Straße war vor seiner aktiven Büdchen-Zeit ein typischer Stammkunde. Der gelernte Landschaft­sbauer hatte seine Wohnung gegenüber seinem späteren Laden. „Es war meine Frühstücks­kaffeeBude“, erzählt er. Als diese nicht mehr so gut gelaufen sei, habe er seine Chance genutzt. Mit einem Förderdarl­ehen machte er sich selbststän­dig. Seitdem sei das Büdchen an 365 Tagen im Jahr von 6 bis 22 Uhr geöffnet gewesen. „Am 25. Dezember 2017 hatten wir zum ersten Mal seit elf Jahren geschlosse­n.“Nun freut er sich auf ein Sabbatjahr.

Nach Angaben der Stadt könne von einem Büdchen-Sterben in Neuss derzeit keine Rede sein. Die Gewerbemel­destelle habe in 2016 und 2017 insgesamt 40 Abmeldunge­n und 36 Anmeldunge­n verzeichne­t, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage. Dies sei eine „normale Fluktuatio­n“. Wirtschaft­sförderer Andreas Galland beobachtet jedoch einen Städte übergeifen­den Trend zur Büdchen-Schließung: „Es ist eben ein harter Job.“

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