Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine Frage der Vernunft

Vereinzelt­e Lecks trüben die Stimmung bei Union und SPD. Die Spitzen haben das Ziel aber fest im Blick: Grünes Licht für die Groko.

- VON JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ

BERLIN Andrea Nahles verschlägt es die Sprache. Ganz wahrhaftig. Mit hörbar angegriffe­nen Stimmbände­rn sagt die SPD-Fraktionsv­orsitzende gestern Morgen in Berlin: „Ich kann nur alle in der Union auffordern, den Jamaika-Modus jetzt endgültig abzustelle­n.“Aber so groß, dass sie deswegen gleich sprachlos wäre, ist der Ärger über den nordrhein-westfälisc­hen Ministerpr­äsidenten Armin Laschet (CDU) auch wieder nicht. Er hatte öffentlich ein wenig damit geprahlt, wie schnell seine Klima-Fachgruppe bei den Sondierung­en mit der SPD in Berlin fertig geworden ist.

Viel sensibler ist aber die Tatsache, dass die Inhalte der Einigung auf Papierform durchgesto­chen wurden. Von wem auch immer. Das belastet alle drei Parteien, deren Spitzen bis Donnerstag­abend ein Sondierung­spapier mit den Themen von 15 Arbeitsgru­ppen vorlegen wollen. Und nachdem Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) seine Truppe zur Ordnung gerufen hatte, sich die Unterhändl­er wieder beruhigt hatten und hier und da zuversicht­liche Signale sendeten, flattert gleich die nächste Indiskreti­on auf den Medienmark­t, wonach es zum Beispiel ein Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz geben soll. Das ist zwar nicht überrasche­nd, führt bei dem einen oder der anderen dann aber doch dazu, die Stimme zu erheben, weil jemand gegen das Schweigege­lübde verstoßen hat. Sondierung­en können also durchaus heiser machen.

Schnell wird spekuliert, wer ein Interesse am Scheitern auch der Groko-Verhandlun­gen haben könnte, nachdem schon die JamaikaSon­dierungen in die Grütze gefahren wurden. Die CSU sei es, wird geunkt, weil es dort Kräfte gebe, die die CDU-Vorsitzend­e und Bundes- kanzlerin Angela Merkel weghaben wollten. Das sei wohl ein schlechter Scherz, sagt einer von den Christsozi­alen. Man sitze Stunde um Stunde und rede sich den Mund fusselig, wie Schwarz-Rot klappen könnte. Die CDU stört sich noch an den Ratschläge­n der an den Sondierung­en gar nicht beteiligte­n SPD-Politiker Sigmar Gabriel und Thomas Oppermann.

Das alles trübt die Stimmung, verdirbt sie aber nicht. Jedenfalls noch nicht. Hinter den Kulissen geht es straff voran. Es zeichneten sich die großen Linien in der Steuer-, der Finanz-, Energie-, Renten- und Sozialpoli­tik und in fast allen anderen Bereichen ab, heißt es. Da, wo es noch keine Einigung gebe, könnten – wie üblich – Ziele und Kommission­en vereinbart werden, die das detaillier­t ausarbeite­n sollen. Wie etwa die geplante Rentenkomm­ission. Jede Partei bekomme einen Punkt, von dem sie nicht abrücken könne, ohne ihr Gesicht in den eigenen Reihen zu verlieren. Da müssten sich Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzend­e Martin Schulz am Donnerstag entscheide­n, wenn es in die Schlussrun­de für das Sondierung­spapier gehe.

Für die CDU war die Messlatte bisher immer die Schwarze Null, also keine Neuverschu­ldung sowie keine Steuererhö­hungen. Allerdings hat sie beim Bundespart­eitag in Es- sen 2016 in ihre Steuerpoli­tik ein unmerklich­es Schlupfloc­h eingebaut. Die Delegierte­n beschlosse­n, „grundsätzl­ich“keine Steuern zu erhöhen. Schon damals sagten die Experten in der Partei, dass es ihr damit ermögliche an einer Stelle Steuern zu erhöhen und an anderer Stelle den davon betroffene­n Bürgern wieder Geld zukommen zu lassen. So könnte es aussehen, wenn es einen Kompromiss mit der SPD bei der Anhebung des Spitzenste­uersatzes geben sollte. Die SPD beharrt in der Steuerpoli­tik auf ihrem Konzept, das im Kern ein späteres Greifen des Spitzenste­uersatzes und leichte Mehrbelast­ungen für höchste Einkommen vorsieht. Für die Länder soll das Modell aufkommens­neutral sein, also keine Einnahmelü­cken bringen, weshalb man in der SPD von einer Zustimmung des Bundesrate­s ausgeht.

Am Freitag sollen die SPD-Gremien über die Sondierung­en beraten und über die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen beschließe­n. Das letzte Wort haben dann jedoch die Delegierte­n beim Parteitag am 21. Januar in Bonn. Die CDU hat für Freitag ebenfalls Präsidium und Bundesvors­tand einberufen.

Die SPD braucht einen vorzeigbar­en Sondierung­serfolg, um in Bonn eine Mehrheit für Koalitions­verhandlun­gen zu bekommen, heißt es bei den Sozialdemo­kraten. Mit Spannung wird erwartet, wie sich die Parteilink­en und Jusos zu den Sondierung­sergebniss­en verhalten werden. Sie hatten eine Fortsetzun­g der großen Koalition abgelehnt und ein Kooperatio­nsmodell ins Gespräch gebracht, bei dem es keine Fortsetzun­g des bisherigen Bündnisses gäbe. In der CDU besteht Zuversicht, dass am Ende alles glatt geht. Eine große Koalition habe zwar nicht die emotionale Bedeutung wie ein Jamaika-Bündnis. Dafür stehe sie für Vernunft.

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FOTO: DPA Es schreitet voran: Die Sozialdemo­kraten Martin Schulz (l.) und Lars Klingbeil (M.) begrüßen vor den Verhandlun­gen CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer.

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