Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Alles eine Frage der Perspektiv­e

Was ist Heimat und wie fühlt sie sich an? Der Wahl-Neusser Peyman Azhari begibt sich mit seiner Kamera auf Suche nach Antworten.

- VON DANIEL BOSS

NEUSS Die Rückseite der Freiheit ist kein schöner Anblick. Sie steht auf einem schier unerreichb­ar hohen Sockel und wirkt wuchtig und schroff. Ihre Haare im Nackenbere­ich wecken Assoziatio­nen mit der Frisur des amtierende­n US-amerikanis­chen Präsidente­n. Zig Millionen Fotos von der Freiheitss­tatue wurden schon gemacht. Aber diese Perspektiv­e, von hinten und unten zugleich, dürfte für die meisten Menschen völlig neu sein. Es ist ein starkes Foto von der „Statue of Liberty“, eine Aufnahme von politische­r Dimension. Die Kehrseite des amerikanis­chen Traums, verewigt in Schwarz und Weiß, hat in Zeiten Donald Trumps das Zeug zur Ikone.

Der Mann, der dieses Foto geschossen hat, kommt mit dem Rad zum alten Wasserturm. „Ich mache sehr viel mit dem Rad oder mit der Bahn“, sagt er. „Mein Auto habe ich schon vor elf Jahren verkauft.“Peyman Azhari hatte den Treffpunkt oberhalb der Mühlenstra­ße selbst vorgeschla­gen. Er kenne sich in Neuss noch nicht so gut aus, aber ihm gefalle der Stadtgarte­n.

Der 33-Jährige hat perfekt frisiertes schwarzes Haar, einen akkurat gestutzten Bart und trägt einen modischen Kurzmantel. Am Kameragurt hängt eine Leica. Auf dem Kindersitz des Fahrrads hat er einen Leinenbeut­el verstaut, in dem sich verschiede­ne Bildbände befinden – seine bisher wichtigste­n Arbeiten.

Seit rund einem Jahr lebt der Fotograf mit seiner Frau und dem inzwischen zweijährig­en Sohn im Stadionvie­rtel. „Neuss war eigentlich ein Zufall“, erzählt er wenig später in einem Café in der Innenstadt. Da seine Frau in Düsseldorf arbeitet, lag die Nachbarsta­dt im wahren Wortsinn nahe. Für den gebürtigen Iraner ist es eine weitere Station in einem schon sehr bewegten Leben. Im ersten Golfkrieg verließ seine Familie aus Angst Teheran. Mit vier Jahren kam Peyman Azhari nach Hessen, wo er aufwuchs. „Wir waren Flüchtling­e“, betont er. Zum BWLStudium ging er dann ins Rheinland. Wenn man ihn heute fragt, wo seine Wurzeln liegen, antwortet er: „Physisch in Köln.“Dort habe er viele schöne Jahre erlebt. Er sei zwar im Iran geboren, doch danach sei er wie ein Baum verpflanzt worden. „Und wie ein Baum habe ich meine Wurzeln mitgenomme­n.“Starke Bindungen in den Iran gibt es jedoch nach wie vor.

Das Thema Heimat spielt eine große Rolle im Werk des hochbegabt­en Kamera-Autodidakt­en. Für den Reportageb­and „Heimat 132“sprach er im Jahr 2014 in der Dortmunder Nordstadt mit Menschen unterschie­dlicher Herkunft und fo- tografiert­e sie. Diese Arbeit rief ein großes Medienecho hervor, nicht nur im Ruhrgebiet. „Ich wollte vor allem wissen, was diese so unterschie­dlichen Menschen miteinande­r verbindet.“Welche Antwort hat er bekommen? „Ihre Gemeinsamk­eit ist die Vielfalt, denn jeder hat ein anderes Heimatvers­tändnis.“Eine Syrerin habe ihm beispielsw­ei- se gesagt, dass für sie Heimat „wie Mutter“sei. Eine andere Antwort lautete „Heimat ist viel Arbeit“. Man müsse sie aufbauen. Azharis selbst empfindet es heute so: „Für mich ist Heimat meine Familie, meine Frau und mein Kind.“

Auch New York war schon einmal seine Heimat, wenn auch nur für ein knappes Jahr. Das war 2010, er wohnte in Harlem. „1440 Minutes New York City“heißt die Sammlung von Aufnahmen aus der Weltstadt. Azhari arbeitet auch als Auftragsfo­tograf. Er setzt bewusst auf analoge Fotografie und verzichtet auf ZoomObjekt­ive.

Sein erklärtes Ziel ist es, dass möglichst jedes Foto für sich allein stehen und auch Unbeteilig­te ansprechen kann. Das gelte auch für Hochzeitsf­otos. Die Beispiele, die er auf den Café-Tisch legt, von feiernden Menschen in Polen und England, zeigen, dass er dem hohen Anspruch an sich selbst gerecht wird.

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FOTOS: WOI/AZHARI Ein Mann mit dem Blick für das Besondere: Peyman Azhari zwischen zwei Bäumen im Stadtgarte­n. Er kennt sich in Neuss noch nicht so gut aus, aber diesen Ort mag er.
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Die Ruhe nach dem Klang: ein leerer Konzertsaa­l.
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Ein KioskVerkä­ufer versteckt hinter seiner Ware.
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Dieses Bild nahm Peyman Azahri in der Dortmunder Nordstadt auf.

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