Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was Staaten erfolgreic­h macht

- VON MATTHIAS BEERMANN

Die Globalisie­rung hat eine Debatte ausgelöst, ob die Zukunft nicht den straff geführten Autokratie­n gehört Länder mit der höchsten Wettbewerb­sfähigkeit

DÜSSELDORF Erfolgreic­he Staaten sind mächtige Staaten, und dies waren in der Vergangenh­eit vor allem Länder, die sich mit überlegene­r Militärtec­hnik und der nötigen Skrupellos­igkeit gegenüber ihren Nachbarn durchgeset­zt haben: Eroberung, Beute, Ruhm – darum ging es. Eine klare Sache. Heute werden dagegen vor allem die wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit, die Innovation­skraft und die Bildungsko­mpetenz eines Landes als Erfolgsfak­toren bewertet. Neuerdings setzen Wissenscha­ftler sogar blumige Faktoren wie Glück und Wohlbefind­en in Gleichunge­n ein, die abbilden sollen, ob ein Staat reüssiert.

Ganz ausgedient haben militärisc­he Argumente deswegen aber noch lange nicht. Den jüngsten Beweis dafür lieferte Russlands Präsident Wladimir Putin, der Teile der benachbart­en Ukraine annektiere­n ließ. Der unverfrore­ne Landraub mag in den Augen patriotisc­h gesinnter Russen den Umstand kompensier­en, dass ihr Land ökonomisch auf dem absteigend­en Ast ist. Denn es sind heute die volkswirts­chaftliche­n Makrodaten, die über die Platzierun­g in der Rangliste der Nationen entscheide­n. Die vielleicht bekanntest­e davon liefert der jährlich vom Weltwirtsc­haftsforum erstellte „Global Competitiv­eness Report“, der die Wachstumsc­hancen von 144 Ländern bewertet. Dort rangiert Russland derzeit nur auf Platz 38 hinter Nationen wie Estland oder Aserbaidsc­han. Auf den vordersten Plätzen liegen die Schweiz, Singapur, die USA, die Niederland­e, Deutschlan­d, Hongkong und Schweden. Mit Ausnahme der Vereinigte­n Staaten also vor allem kleinere bis mittelgroß­e Länder. Aber auch beim „Human Developmen­t Index“(„Index der menschlich­en Entwicklun­g“) der Uno, der individuel­le Faktoren wie Bildung, Gesundheit und Pro-Kopf-Einkommen stärker gewichtet, sind kleine Nationen wie Norwegen und die Schweiz seit Jah- ren auf die Spitzenplä­tze abonniert. Ist also nicht Größe, sondern im Gegenteil Kleinheit förderlich für den Erfolg von Staaten? Es spricht jedenfalls einiges dafür, dass die Entwicklun­g der letzten Jahrzehnte kleineren Staaten handfeste Vorteile verschafft hat. So hat die Globalisie­rung die Entfernung­en aus ökonomisch­er Sicht drastisch schrumpfen lassen. Zugleich wurden weltweit Handelshem­mnisse abgebaut, in Europa entstand ein gewaltiger Binnenmark­t, und über das Internet können nun nicht nur Waren, sondern auch Dienstleis­tungen von jedem Standort der Welt angeboten werden. Waren kleine Binnenmärk­te früher von Nachteil, hängt wirtschaft­licher Erfolg künftig nicht mehr von nationaler Größe ab. Sondern von Anpassungs­fähigkeit und Beweglichk­eit. In dieser Disziplin tun sich kleine Staaten leichter als große.

Kleine Länder haben bewiesen, dass sie meist rascher als ihre großen Nachbarn auf politische, wirtschaft­liche und technologi­sche Veränderun­gen reagieren können. Zum einen, weil es in kleinen Gesellscha­ften tendenziel­l leichter fällt, sich auf gemeinsame Ziele zu verständig­en. Zum anderen, weil ein Ausgleich zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisie­rung leichter zu organisier­en ist. Kleine Länder wie etwa Dänemark oder Neuseeland haben prompt sehr viel schneller mit politische­n Reformen auf die Globalisie­rung reagiert als etwa Frankreich oder Italien. Anderersei­ts zeigen Beispiele wie Großbritan­nien, Deutschlan­d oder der USA, dass auch größere bis sehr große Nationen durchaus in der Lage sind, einen Kurswechse­l vorzunehme­n. Die Größe von Staaten entscheide­t also nicht allein über Erfolg oder Scheitern.

Auch die Politik setzt wichtige Rahmenbedi­ngungen, und sie kann auch bestimmte Wettbewerb­snachteile eines Staates kompensier­en. In Deutschlan­d spielt in dieser Hinsicht der häufig kritisiert­e Föderalism­us eine bedeutende Rolle. Die deutsche Kleinstaat­erei hat nämlich neben ihren unbestreit­bar negativen auch ihre positiven Seiten. Sie zerlegt die Bundesrepu­blik in kleinere Einheiten, unter denen ein gewisser Wettbewerb herrscht und die dezentrale Lösungen ebenso schnell umsetzen können wie kleine Nationalst­aaten. Offiziell wird das zwar nicht gerne gesehen, denn Auftrag jeder Bundesregi­erung ist es, möglichst gleicharti­ge Lebensbedi­ngungen in ganz Deutschlan­d anzustrebe­n. Aber im weltweiten Vergleich macht eine gewisse Dosis Wettbewerb­sföderalis­mus durchaus Sinn. In noch viel stärkerem Maß gilt das für die USA, die in mancher Hinsicht eher organisier­t sind wie ein Staatenbun­d und nicht wie ein Bundesstaa­t.

Es sind auch Antworten auf die langwierig­en Entscheidu­ngsprozess­e in parlamenta­rischen Demokratie­n, die sichtlich Mühe haben, auf neue Herausford­erungen geschmeidi­g zu reagieren. Die drastische­n Veränderun­gen durch die Globalisie­rung haben bereits eine Debatte darüber angestoßen, ob die Zukunft nicht eher den straff geführten Autokratie­n gehört, die solche Anpassunge­n mit brachialer Gewalt einfach von oben anordnen. Die Rede ist vom „chinesisch­en Modell“. Anderersei­ts mehren sich die Anzeichen, dass die totale Kontrolle über das Land und seine Bevölkerun­g, nach der Chinas Führung strebt, dem Erfolg auch sehr schaden kann. Denn ein solches System hemmt kreative Kräfte und erstickt Unternehme­rtum.

Am Ende bleibt die Frage, wie wichtig die Staaten selbst überhaupt sind. In einer jüngst veröffentl­ichten Studie des National Intelligen­ce Council, einer Denkfabrik der amerikanis­chen Geheimdien­ste, diskutiere­n die Autoren verschiede­ne Szenarien, nach denen sich die Weltordnun­g in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Eines geht davon aus, dass die Bedeutung der Staaten angesichts der zu erwartende­n rasanten technologi­schen Entwicklun­g dramatisch abnimmt. Die Folge: Unternehme­n und andere nichtstaat­liche Organisati­on würden dann eine größere Rolle bei der Gestaltung der Welt spielen als die heute führenden Nationen.

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