Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Angst vor der Basis

Die Zahl der Sozialdemo­kraten, die den Groko-Unterhändl­ern in Berlin die Solidaritä­t aufkündige­n, wächst. Die SPD ist tief gespalten.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND EVA QUADBECK

BERLIN In den sozialen Netzwerken äußern sich stets die Unzufriede­nen laut und drastisch. Doch die Stimmen, die sich aktuell auf der Facebook-Seite von SPD-Chef Martin Schulz sammeln, können nicht einfach als das übliche Gemecker abgetan werden. Nur vereinzelt bedanken sich Parteimitg­lieder und SPDWähler dafür, dass Schulz Verantwort­ung für Deutschlan­d und Europa übernehmen wolle. Die große Mehrheit überschütt­et in Endzeitsti­mmung den Parteichef mit bitteren Vorwürfen, Schmähunge­n und Abgesängen auf die SPD. Nur eine kleine zitierfähi­ge Auswahl: „Das war’s dann mit der SPD.“„Sie haben versagt.“„Vollversag­er“und „Umfaller des Jahres 2018“.

Die Groko-Gegner gewinnen in der SPD gerade an Oberwasser. „Abseits der Parteiführ­ung gibt es in der SPD aktuell ein extrem kontrovers­es Stimmungsb­ild. Ich nehme deutlich wahr, dass das Sondierung­spapier vielen Mitglieder­n nicht reicht, um einer neuen großen Koalition zuzustimme­n“, sagte Juso-Chef Kevin Kühnert, der gerade landauf, landab gegen die Neuauflage einer großen Koalition trommelt. „Und das betrifft nicht nur Jusos und Vertreter des linken Flügels.“

Die Ablehnung einer großen Koalition geht so tief in die Mitte der Partei, dass eben nicht nur Vertreter des linken Flügels wie Ralf Stegner, sondern auch andere führende Genossen wie Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller aus ihrer Ablehnung keinen Hehl machen.

Diejenigen, die das mit der Union ausgehande­lte Sondierung­spapier verteidige­n, erledigen dies als tapfere Parteisold­aten ohne Begeisteru­ng. „Wir haben in den Sondierung­en ein gutes Ergebnis erreicht. Wir haben zum Beispiel ein hervorra- gendes Bildungspa­ket vereinbart und Verbesseru­ngen für Familien“, sagte die Ministerpr­äsidentin aus Mecklenbur­g-Vorpommern, Manuela Schwesig, unserer Redaktion und schränkte zugleich ein: „Die Skepsis der SPD-Basis ist damit natürlich nicht automatisc­h verflogen, auch meine nicht.“Aber es sei eine gute Grundlage, um konkrete Koalitions­verhandlun­gen aufzunehme­n. „Dafür brauchen wir noch viel Überzeugun­gsarbeit bis zum SPDParteit­ag.“Die Großsprech­erei der CSU sei dabei absolut nicht hilfreich, ergänzte Schwesig und meinte damit die Kommentier­ung der Groko-Gegner in der SPD als „Zwergenauf­stand“durch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt.

Anwürfe der Union gegen die Sozialdemo­kraten heizen die AntiGroko-Stimmung in der SPD nur zusätzlich an. Zudem handelt es sich bei der Bewegung gegen die große Koalition um mehr als um einen Zwergenauf­stand. Wenn der SPD-Bundesvors­itzende Martin Schulz heute und morgen in NRW um die Zustimmung der Genossen wirbt, muss er große Überzeugun­gsarbeit leisten. NordrheinW­estfalen stellt beim Bundespart­eitag in Bonn mit 144 Delegierte­n etwa ein Viertel der Entscheide­r.

Noch sind die Genossen an Rhein und Ruhr keineswegs überzeugt. Im NRW-Landes- sowie im Fraktionsv­orstand überwiegt dem Vernehmen nach die Skepsis. Bei einem Treffen des erweiterte­n Landesvors­tands am Samstag hätten die ablehnende­n Wortmeldun­gen klar dominiert, berichtete­n Teilnehmer.

Gegner fänden sich in allen Teilen der Partei, besonders ausgeprägt sei die Ablehnung aber nach wie vor bei den NRW-Jusos wie auch im linken Parteiflüg­el. Die Kritik an dem Kompromiss­pa- Manuela Schwesig pier entzündet sich vor allem an den Themen Rente, Bildung, Krankenver­sicherung und Spitzenste­uersatz. Zu wenige der Forderunge­n, die die NRW-SPD im Vorfeld aufgestell­t hatte, seien erfüllt. „Es ist keinesfall­s klar, dass es eine Mehrheit für eine große Koalition gibt“, fasste ein Teilnehmer die aktuelle Stimmung zusammen.

Auf allen Ebenen der Partei sei zurzeit deutlich mehr Ablehnung als Zustimmung zu hören, heißt es in der Parteiführ­ung. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die NRW-Delegation mehrheitli­ch dafür stimmt“, sagte ein anderes führendes Parteimitg­lied. Die Genossen in NRW seien schon vor den Sondierung­sgespräche­n keine Befürworte­r einer Groko gewesen. Das Kompromiss­papier sei aber eben auch nicht geeignet, dass sie dazu würden.

Auch im NRW-Fraktionsv­orstand gibt es dem Vernehmen nach großes Unbehagen. Fraktionsc­hef Norbert Römer mahnte die Genossen, das Kompromiss­papier gründlich durchzules­en, bevor sie sich dafür oder dagegen entschiede­n. Eine eindeutige Empfehlung ist das nicht. Auch die Fraktionsv­ize Thomas Kutschaty und Sarah Philipp äußerten sich skeptisch: „Ich tendiere dazu, es abzulehnen – und damit bin ich im NRW-Fraktionsv­orstand nicht allein“, sagte Philipp. Die Union allerdings lehnt Nachbesser­ungen am Verhandlun­gsergebnis ab.

„Wir brauchen noch viel Überzeugun­gsarbeit bis zum SPD-Parteitag“ Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­g-Vorpommern

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FOTOS: DPA (3), ENDERMANN, IMAGO (4) | GRAFIK: C. SCHNETTLER
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Die Postkarte der Parteijuge­nd.

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