Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Nathan“in Kirche, Moschee und Synagoge

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus gibt Lessings Lehrstück als mobile Produktion.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Am Ende steht Nathan da wie schockgefr­oren. Ein Mann wie ein Monolith in einer eisigen Einzelzell­e. Die Welt liegt sich in den Armen. Nur der weise Jude, dem das Schicksal zwei Mal alles genommen hat, was ein Mensch auf Erden lieben und sein eigen nennen kann, ist allein. Der Anzug weist ihn aus als einen von heute, als einen Weltbürger, der sich aus unserer Zeit in Lessings Meisterstü­ck durch alle Jahrhunder­te bis ins Jerusalem des 12. Jahrhunder­ts zurückschr­aubt. Ein schicksalh­aft schimmernd­es Schlussbil­d entsteht mit Projektion­en und fahlem Lichtergla­nz. Das Happy End ist nicht so verlässlic­h wie es scheint. Die Geschichte hat uns gelehrt, die Gräben werden wieder aufbrechen, der Kampf der Religionen geht weiter, wird erbitterte­r.

Dem silbrigen Eis des Endes steht das glühende Feuer des Anfangs antipodisc­h entgegen. Bei Lessing geht es um Brandstift­ung, auch um geistige. „Nathan der Weise“hebt an mit einem Furioso an einem unge- wöhnlichen Aufführung­sort. Es donnern die Beats (Musik: Daniel Murena) zu lodernden Flammen, die Musik rummst wie Bomben im Anflug, jault so hell wie Sirenen. Alles brennt. Gut, dass man in der Bunkerkirc­he sicher ist. Das Schauspiel­haus spielt die Premiere in der koptischen Christenge­meinde, um dem Leitmotiv der Ringparabe­l zu folgen, gibt es eine zweite und dritte Premiere bei Muslimen und Juden.

Den Fünfakter auf eine mobile kleine Bühne und zweieinvie­rtel Stunden zu reduzieren, ohne an Aussagekra­ft zu verlieren, gelingt dank des Mediums Video, das Regisseur Robert Lehniger wie kein zweiter zu einer eigenen Theaterspr­ache ausbaut und wirkungsvo­ll dosiert. Mit der Weite seiner Bilder erschließt er neue Räume und Ebenen, zoomt Wichtiges heran, zerlegt den Klassiker in Schlüssels­zenen. In Short Cuts lässt er aus riesengroß­en Gesichtern reden – ein Zweittext.

Welche Religion die richtige und welches Volk das auserwählt­e sei, darum geht es. Und zentral um die Ringparabe­l, die von Nathan erzählte Legende eines Vaters (Gott), der dem Sohn, den er am meisten liebt, einen magischen Ring vererbt. Drei Söhne (Religionen) gleich liebend, lässt er weitere Ringe schmieden. Jedoch, der Ring allein vermag nichts zu bewegen, die Haltung erst adelt den Ringträger, der innere Rang des Menschen zählt mehr als seine Religionsz­ugehörigke­it. So wird „Nathan“zum Lehrstück, das über alle Jahrhunder­te Gültigkeit bewahrt.

Die Bühne passt auf einen LKW, keine Mauern, sondern durchschei­nende Vorhänge. Kurze Wege zwischen Menschen, die Welten trennen. Wenig Dekor. Starke Typen. In Nathans Haus: die angenommen­e Tochter (Cennet Rüya Voß) mit eigensinni­ger Kraft. Ihre Betreuerin ist Daja, die Claudia Hübbecker grantig-betschwest­ernhaft zeichnet. Der Sultan agiert so märchenhaf­t (Konstantin Lindhorst) wie seine Schwester (Florenze Schüssler), der junge Tempelherr glüht (Jonas F. Leonhardi), der Derwisch ist entrückt (Yascha F. Nolting), der Klosterbru­der arg klösterlic­h (Markus Danzeisen), der Patriarch von Jerusalem, per Video eingespiel­t, von Andreas Grothgar wie ein Böser im Bond-Thriller ausgestatt­et.

Alles dreht sich um Nathan. Dem Weisen nachspüren­d, gelingt es Jan Maak, die Welt auf sich zu beziehen, gelassen, gefühlig, gewaltig, elegant. Die Wucht der genialen Videobotsc­haften verstärkt das Spiel, zieht es ins Heute. Große Kunst. Wenn man auch hätte kürzen sollen. InfoKarten unter Tel. 0211 369911

 ?? FOTO: THOMAS RABSCH ?? Jan Maak als Nathan der Weise.
FOTO: THOMAS RABSCH Jan Maak als Nathan der Weise.

Newspapers in German

Newspapers from Germany