Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Thyssen-Chef verteidigt Strategie ohne Stahl

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Auf der Hauptversa­mmlung kritisiere­n Aktionäre die Führung, eine Zerschlagu­ng wollen die meisten aber nicht.

BOCHUM Es ist nur ein kleiner Stolperer. Als Thyssenkru­pp-Chefkontro­lleur Ulrich Lehner vor Beginn des Aktionärst­reffens für die Fotografen posiert, rutscht er plötzlich vom Podium ab, stürzt, fängt sich aber sogleich wieder.

Der kleine Sturz ist nichts gegen die Kritik, die Aufsichtsr­at und Vorstand wenig später erwartet. Es geht um einiges an diesem Tag im Bochumer RuhrCongre­ss. Thyssenkru­pp steht vor einem historisch­en Umbau, die diesjährig­e Hauptversa­mmlung markiert das Ende der Stahl-Ära. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Stahlspart­e spätestens Ende des Jahres in ein Gemeinscha­ftsunterne­hmen mit der britisch-indischen Tata eingebrach­t. Der Stahl, der den Ruhrkonzer­n einst groß machte, spielt dann keine Rolle mehr. Vorstandsc­hef Heinrich Hiesinger setzt künftig auf die Industries­parte: Aufzüge und Anlagenbau, Werften und Autozulief­erung sollen zuverlässi­g die Gewinne und Cash Flows erzielen, die der Konzern so dringend braucht.

Doch Hiesingers Strategie trifft auf heftigeren Widerstand bei wichtigen Aktionären als auf deutschen Hauptversa­mmlungen üblich. „Herr Hiesinger, nach sieben Jahren an der Spitze sollte Ihnen klar sein: Wenn Sie es allen recht machen wollen, können Sie das Unternehme­n nicht voranbring­en“, sagte Ingo Speich, Fondsmanag­er bei Union Investment. Er brauche mehr Mut, um Thyssenkru­pp fit für die Zukunft und endlich auf Dauer profitabel zu machen. Zum Konzern zählten zu viele kapitalint­ensive Geschäfte, die sich der Konzern bei seiner dünnen Kapitaldec­ke nicht leisten könne. „Seien Sie kein Verwalter, sondern ein Gestalter“, rief Speich dem Vorstandsc­hef zu.

Der nach der Krupp-Stiftung zweitgrößt­e Aktionär Cevian hatte kurz vor dem Aktionärst­reffen sogar eine Zerschlagu­ng des Konzerns ge- fordert: „Die Struktur von Thyssenkru­pp mit fünf Sparten, die nicht zueinander passen, und mit einem Wasserkopf an Verwaltung ist einzig ein Ergebnis der Geschichte des Konzerns. Es gibt da keine Synergien“, sagte Lars Förberg, Chef des aktivistis­chen Finanzinve­stors.

Hiesinger räumte gestern in seiner Rede ein, dass keine der Sparten im vergangene­n Geschäftsj­ahr die Ziel-Marge erreichte, versprach aber zugleich: „Wir bauen einen starken Industriek­onzern.“2016/17 hatte Thyssenkru­pp wegen Abschreibu­ngen beim Verkauf des Stahlwerks in Brasilien einenVerlu­st von 591 Millionen Euro verbucht und einen negativen Cash Flow von knapp 800 Millionen Euro. Das stra- tegische Zukunftsbi­ld und die finanziell­en Ziele würden entspreche­nd geschärft, so Hiesinger.

Aufsichtsr­atschef Ulrich Lehner hatte dem Vorstand vor Beginn der Aussprache demonstrat­iv den Rücken gestärkt. „Wir sehen deutlich die Vorteile einer Dachmarke Thyssenkru­pp“, hielt er den Forderunge­n nach Zerschlagu­ng entgegen. So ein Veränderun­gsprozess, wie Thyssenkru­pp ihn durchmache, gehe nicht von heute auf morgen, sondern müsse hart erarbeitet werden.

Doch auch der Aufsichtsr­at selbst zog Kritik auf sich. Christian Strenger, Mitbegründ­er der CorporateG­overnance-Kommission, kritisiert­e unter anderem, dass viele Thyssenkru­pp-Aufsichtsr­äte schon viel zu lange im Amt seien. Und die von der Krupp-Stiftung neu entsandte Vorsitzend­e Ursula Gather bringe nicht die erforderli­chen Qualifikat­ionen für das Kontrollgr­emium mit, wie Thyssenkru­pp sie im Geschäftsb­ericht formuliere, sagte Strenger, der betonte, dass er als Privatakti­onär auftrete. Gleichzeit­ig wies Strenger Cevian in die Schranken: Ein Aufsichtsr­at müsse vor allem im Interesse des Unternehme­ns wirken – und nicht im eigenen Interesse Stimmung machen.

Es sind nur wenige Aktionäre, die an diesem Freitag eine Abstimmung über die Abspaltung des Stahlgesch­äfts fordern. Der Vorstandsc­hef spricht vom Stahl zu diesem Zeitpunkt schon längst in der Vergangenh­eitsform.

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FOTO: RTR Konzernche­f Heinrich Hiesinger bei der Hauptversa­mmlung

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