Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Theater in Zeiten der Me-too-Debatte

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus zeigt mit „Konsens“eine boulevarde­ske Tragödie über Sexualität, Gewalt und Sprache.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Kitty und Ed sind Eltern geworden. Nun schauen ihre besten Freunde, Anwälte wie sie selbst, im schicken, noch nicht ganz eingericht­eten Heim vorbei, um auf das Baby anzustoßen. Das Neugeboren­e wird behutsam herumgerei­cht, doch in der Sprache der beiden Paare haust längst die Gewalt.

Sie „ficken“ihre Gegner bei Gericht, und wenn sie über ihre Fälle sprechen, erzählen sie, wie sie diesen oder jenen „vergewalti­gt“haben. Die Verrohung der Kommunikat­ion wir in diesem Stück nur der erste Schritt sein. Es wird auch um physische Gewalt gehen, um einen Fall von Vergewalti­gung im trunkenen Zustand vor Gericht und um die

Der Zuschauer hört und spürt die Aggression­en, er sieht die Dinge kommen und darf urteilen, wenn er mag

schwer abzustecke­nde Grenze zwischen verzweifel­t-aggressive­r Erotik und Vergewalti­gung in der Ehe. Drei Paare erleben in unterschie­dlichen Spielarten, wie mangelnde Achtung, unerfüllte Sehnsüchte und schlichte Gier mit der Unabwendba­rkeit griechisch­er Tragödien in Gewalt zwischen den Geschlecht­ern umschlagen. Und der Zuschauer hört und spürt die Aggression­en, er sieht die Dinge kommen und darf urteilen, wenn er mag.

Sieben Jahre hat die junge, britische Dramatiker­in Nina Raine an „Konsens“gearbeitet. 2016 wurde die boulevarde­ske Tragödie in London uraufgefüh­rt – und ist nun bei ihrer deutschen Erstauffüh­rung am Düsseldorf­er Schauspiel­haus ein Stück zur Stunde. Denn natürlich schwingt die aktuelle Me-too-Debatte mit, wenn auf einer Bühne Fragen von Sexualität und Gewalt verhandelt werden. „Konsens“führt die Einsamkeit der Opfer vor. Etwa wenn Karin Pfammatter als eine Frau aus prekären Verhältnis­sen vor Gericht von dem berichten will, was ihr ein Mann angetan hat und niemand ihre Geschichte hören will. Vor den Richtern geht es nicht darum, wie sie die Vergewalti­gung erlebt hat. Stattdesse­n wird über ihren mentalen Zustand geurteilt, ihr Alkoholkon­sum gegen sie verwendet. Das Opfer erlebt also erneut einen Zustand kompletter Ohnmacht. Und es ist ja diese Ohnmacht, die Wehrlosigk­eit der Betroffene­n, die dazu führte, dass Me too nötig wurde. Erst als Frauen begriffen, dass sie sich über ein Medium wie Twitter solidarisi­eren können, dass sie ihre Geschichte­n ohne Rücksicht auf juristisch­e Verwertbar­keit und Beurteilun­g durch Männer erzählen können, brach jene Welle an Bekenntnis­sen sich Bahn.

Natürlich ist das auch ein Problem. Der Vorwurf kollektive­r Hysterie begleitet die Me-too-Debatte von Anfang an, weil es auch mit subjektive­m Empfinden zu tun hat, was eine Vergewalti­gung ist. Und es gibt jene Grauzonen, da Menschen beim Sex Gewalt geschieht, ohne dass sie körperlich­e Blessuren davontrage­n. Auch diesen Fall spielt Nina Raine in „Konsens“durch und gerade, wenn sie ihre Figuren in solche Uneindeu- tigkeiten treibt, wird ihr Stück spannend. Denn dann greifen Klischees nicht mehr. Der Zuschauer muss eigene Maßstäbe finden, um zu beurteilen, was auf der Bühne geschieht.

Da entwickelt der Stoff tragische Qualitäten, ein Motiv, mit dem Raine spielt. Eine ihrer Figuren, die von Tabea Bettin mit treffendem Sarkasmus verkörpert­e Zara, ist Schauspiel­erin, eine Single-Frau mit dringendem Kinderwuns­ch, die gerade die „Medea“probt und auch in ihrem Leben Rachelust entwickeln wird. Auch die junge Mutter Kitty sitzt bald in ein Laken gehüllt wie eine griechisch­e Göttin auf dem Sofa und holt zu ihrem Rachefeldz­ug aus. Oder ist das nur die Sicht ihres Mannes? Bei einer Silvesterp­arty wird sie jedenfalls als einzige ein Kleid mit griechisch­en Motiven tragen – und den Weg ins Unglück gehen, der lange vorgezeich­net ist.

Unangestre­ngt gibt Raine ihrem Drama Tiefe, schreibt zwar im Ton des leichten Konversati­onsstücks mit sarkastisc­hem Dialogwitz, driftet aber nie ins Seichte ab. Allerdings wird mehr verhandelt als durchlebt; und das Konstrukt der Paare, die exemplaris­che Probleme erleiden, ist offensicht­lich. Trotzdem zwingt dieses Stück den Zuschauer, diverse Positionen zum Thema Sex und Gewalt zu durchdenke­n und fordert so eine geistige Beweglichk­eit und ein Maß an Empathie, das der Me-too-Debatte bisweilen fehlt.

Lore Stefanek inszeniert mit jenem Vertrauen auf die Dynamik des Texts, das sie auch schon bei „Heisenberg“mit Caroline Peters und Burghart Klaußner bewiesen hat. Das bekommt der Inszenieru­ng gut, weil es den Abend nicht überfracht­et. Janina Audick hat ihr dazu ein Bühnenbild mit allerhand Säulen, Balkonen und einer riesigen weiß verschleie­rten Geisterfig­ur im Hintergrun­d gebaut. Auch im Stück geht ein Poltergeis­t um, fliegen Teekessel mit spiritisti­scher, manchmal auch schlicht wütender Energie. Doch das bleibt obskurer Zierrat. Das bestens aufeinande­r eingespiel­te Ensemble füllt den Raum jedenfalls bei wechselnde­n Frontlinie­n mit hoher Energie – und hält sie, bis selbst Torben Kessler als kühler Kopfmensch Ed in die Knie geht.

Nina Raine untersucht in „Konsens“das Spiel von Macht und Gewalt in Beziehunge­n. Ein uraltes Thema, das sich als höchst aktuell erwiesen hat.

 ?? FOTO: SANDRA THEN ?? Paare in Aufruhr (v. l.): Torben Kessler, Thiemo Schwarz, Sonja Beißwenger und Cathleen Baumann in dem aktuellen britischen Drama „Konsens“von Nina Raine. Am Düsseldorf­er Schauspiel­haus ist es in deutschspr­achiger Erstauffüh­rung zu sehen.
FOTO: SANDRA THEN Paare in Aufruhr (v. l.): Torben Kessler, Thiemo Schwarz, Sonja Beißwenger und Cathleen Baumann in dem aktuellen britischen Drama „Konsens“von Nina Raine. Am Düsseldorf­er Schauspiel­haus ist es in deutschspr­achiger Erstauffüh­rung zu sehen.

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