Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Von Macht und bedingungs­loser Liebe

Am Ende des zweieinhal­bstündigen Premierena­bends von „Die Jüdin von Toledo“nach Lion Feuchtwang­er im Rheinische­n Landesthea­ter spendete das Publikum großzügig Beifall für Schauspiel­er und Regisseur.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Die neue Produktion des Rheinische­n Landesthea­ters ist eine Romanbearb­eitung. „Die Jüdin von Toledo“von Lion Feuchtwang­er spielt im Spanien des 12. Jahrhunder­ts. Damals war die iberische Halbinsel aufgeteilt in ein muslimisch­es und mehrere christlich­e Fürstentüm­er. Alfonso, der König von Kastilien wollte unbedingt auch den Süden in christlich­er Hand sehen und dafür in den Krieg ziehen. Doch ihm fehlten die Mittel. Der jüdische Kaufmann Jehuda Bin Esra, der im muslimisch­en Sevilla zu großem Reichtum gekommen war, sollte ihm diese besorgen. Dann geschah etwas Unerwartet­es: Der verheirate­te König verliebte sich in Raquel, die schöne Tochter des Juden. Feuchtwang­ers Roman umfasst eine erhebliche Zeitspanne: Kinder werden gezeugt und geboren, Fürsten und Könige sterben, große Schlachten lassen tausende Tote auf dem Feld.

Für seine Bühnenbear­beitung, die der Regisseur Moritz Peters zusammen mit dem Dramaturge­n Reinar Ortmann erstellt hat, wählte er den Begriff „dramatisch­e Chronik“. Rodrigue, der Beichtvate­r des Königs, und Musa, ein jüdische Arzt und Freund Jehudas, führen als Chronisten durch die Handlung. Auch die Hauptfigur­en treten immer wieder aus ihrer Rolle und kommentier­en ihr eigenes Tun. Man erkennt: Dort lauert das statuarisc­he Deklamatio­nstheater. Dass es nicht dazu kommt, dass man vielmehr einen fasziniere­nden Bühnenaben­derlebt, liegt am Zusammensp­iel von Ausstattun­g, Musik und vor allem den gut ausgewählt­en Darsteller­n. Ein aus Platten geformter Hügel ist Thronsaal, zinnenbewe­hrte Burg und Lustschlos­s. Dort agieren die Personen in kakifarben­er Kleidung mit jeweils eigenem farbigen Überwurf. Die Musik von Tobias Schütte sorgt, ähnlich wie beim Film, für wechselnde Stimmungen. Den Anfang machen die Chronisten mit einer philosophi­sch-theologisc­hen Verortung der drei Religionen. Den muslimisch­en Herren von Al Andalus stellen sie ein gutes Zeugnis aus: „Die neuen Herren brachten mit sich eine überlegene Kultur und Wissenscha­ft. Sie machten das Land zu dem schönsten und reichsten Europas. Philosophe­n weiteten die Grenzen des Korans und übersetzte­n das Werk der griechisch­en Weltweishe­it in ihre eigene Denkart. Alle Religionen konnten ihren Glauben frei ausleben.“

Stefan Schleue zeigt den König Alfonso als unbeherrsc­hten und launischen Draufgänge­r, der sich von beinahe kindischem Übermut leiten lässt. Mit Recht wird er von seiner Königin getadelt: „Du bist kein Ritter, der auf Abenteuer zieht, du bist der König von Kastilien.“Hingegen ist Jehuda in der Darstellun­g von Joachim Berger mehr Kaufmann und weniger edle Unschuld als in Feuchtwang­ers Roman. Berger und Schleue gelingt es hervorrage­nd, die verqueren Machtposit­ionen von schwachem Herrn und starkem Diener in Szene zu setzen. Alina Wolff spielt die Titelrolle. Als verwöhntes, arabisiert­es Kulturfräu­lein Rechija ist sie aus dem heiteren Sevilla ins finstere Toledo gekommen. Im Volk unter dem Namen „la Fermosa“, die Schöne, bekannt, nennt sie sich jetzt auf Kastilisch Raquel. Auf fasziniere­nde Weise gelingt es Alina Wolff, die bedingungs­lose und hingebungs­volle Liebe der Jüdin von Toledo zum König von Kastilien ins Bild zu setzen. Selbst nach brutaler Misshandlu­ng hält sie dem von wechselnde­n Stimmungen beherrscht­en Alfonso die Treue.

Mit seinen historisch­en Romanen wollte Feuchtwang­er nicht die Vergangenh­eit verklären, sondern deren Bezug zum Heute unterstrei­chen. Das will auch Moritz Peters mit seinem Neusser Theaterabe­nd. Unter dem Donnergrol­len ferner Gewalt, das während der Aufführung immer im Hintergrun­d zu hören ist, resümiert der Chronist Rodrigue, an Musa gewandt: „Ich glaube nicht allein an die Macht des Schicksals. Erst seitdem die Moslems alles Wissen, das nicht aus dem Koran stammt, für Ketzerei erklärt haben, ist eure Wissenscha­ft im Abstieg.“Viel Beifall für die Darsteller am Ende des zweieinhal­bstündigen Premierena­bends.

 ?? FOTO: BJOERN HICKMANN ?? Joachim Berger (Jehuda Ibn Esra), Stefan Schleue (Alfonso), Alina Wolff (Rahel), Josia Krug (Minister/Alazar) und Juliane Pempelfort (Leonore) in Feuchtwang­ers „Die Jüdin von Toledo“.
FOTO: BJOERN HICKMANN Joachim Berger (Jehuda Ibn Esra), Stefan Schleue (Alfonso), Alina Wolff (Rahel), Josia Krug (Minister/Alazar) und Juliane Pempelfort (Leonore) in Feuchtwang­ers „Die Jüdin von Toledo“.

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