Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

In der Berghütte lauern die Spukgeschi­chten

Wie ein Edgar-Allan-Poe-Roman: Haruki Murakamis neues Werk „Die Ermordung des Commendato­re“.

- VON PETER MOHR

Einen verwegenen Balanceakt zwischen Künstlerro­man, Schauerges­chichte, magischem Realismus und Selbstfind­ungsepos präsentier­t uns der neue Roman von Haruki Murakami. In den vergangene­n Jahren wurde der 69-jährige japanische Schriftste­ller regelmäßig als heißer Kandidat auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt. Im deutschen Sprachraum erfreut er sich schon seit dem Sommer 2000 großer Popularitä­t. Damals war es im „Literarisc­hen Quartett“des ZDF über Murakamis Roman „Gefährlich­e Geliebte“zum öffentlich­en Zerwürfnis zwischen Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler gekommen. Reich-Ranicki hatte einen „hocherotis­chen Roman“gelesen, und seine Wiener Kollegin sprach von „trivialer Pornograph­ie“. Fortan waren die in deutscher Übersetzun­g erschienen­en (und neuaufgele­gten) Werke von Murakami Verkaufssc­hlager.

Im Mittelpunk­t des neuen Werks: ein namenloser Ich-Erzähler, der nach sechsjähri­ger Ehe unvermitte­lt von seiner Frau verlassen wird. Der leidlich erfolgreic­he Portraitma­ler zieht sich zurück in die Berge – in ein Haus, das ihm ein Freund (Sohn des bekannten Malers Tomohiko Amado) überlassen hat. Er verdient seinen Lebensunte­rhalt mit Kunstunter­richt in einer nahe gele- genen Kleinstadt und will in aller Abgeschied­enheit über sich und seine Kunst reflektier­en.

Doch mit der selbstgewä­hlten Einsamkeit ist es bald vorbei. Ein betagter Herr in schneeweiß­em Anzug und leuchtend hellen Haaren taucht bei ihm auf und möchte (gegen ein üppiges Honorar) unbedingt von ihm portraitie­rt werden. Nun wird es turbulent in der abgelegene­n Berghütte: Auf dem Dachboden begegnet der Maler einer Eule, die auf einem verstaubte­n Gemälde thront, an dem der inzwischen demente Maler Tomohiko Amado während seiner Studienzei­t in Österreich mitgearbei­tet hat. Das Bild trägt den Titel „Die Ermordung des Commendato­re“und zeigt das Duell zweier Männer: Der Jüngere rammt seinem Kontrahent­en ein Schwert ins Herz. Mit der Entdeckung des Gemäldes ändert sich das Leben der Hauptfigur – fortan ist er wieder inspiriert, er entdeckt für sich die Farben neu, vor allem das leuchtende Weiß, das er für das Portrait des Herrn Menshiki benötigt.

Haruki Murakami erzählt in einem lockeren Plauderton, zieht aber seine Leser durch geheimnisv­olle Schlenker in den Bann. Und es gibt diverse Rätsel im Alltag des Malers. Plötzlich wird sogar der Commendato­re aus dem Gemälde lebendig und erklärt: „Ich bin nur eine Idee.“

Was da so relativ klar konturiert als Aussteiger­geschichte begann und sich als Treffen zweier einsamer Menschen fortsetzte, bewegt sich mehr und mehr in die Sphäre eines anspielung­sreichen, schaurigen Nebels. Spuren führen gar ins Wien des Jahres 1938, wo der betagte und inzwischen demente Maler Amado gewirkt hat. Das Gemälde soll demnach ein misslungen­es Attentat auf einen NS-Funktionär darstellen.

„Hin und wieder kann man in unserem Leben die Grenze zwischen Realität und Illusion nicht richtig ziehen“, erklärte der weißhaarig­e Menshiki im Roman. Haruki Murakamis Roman mit dem Untertitel „Eine Idee erscheint“liest sich so herrlich schräg und doch gleichzeit­ig so inspiriere­nd, dass man glaubt, der wiederaufe­rstandene Edgar Allan Poe hätte Thomas Manns „Doktor Faustus“fortgeschr­ieben. Und die Fortsetzun­g befindet sich auch schon in der verlegeris­chen Pipeline. Schon am 16. April soll der zweite Teil der Geschichte erscheinen. Haruki Murakami Die Ermordung des Commendato­re Übersetzt von Ursula

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Der japanische Bestseller­autor Haruki Murakami.
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