Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wird Jörg Geerlings wieder zum Zauderer?

- VON LUDGER BATEN

NEUSS Seit zwölf Jahren führt Jörg Geerlings die Neusser CDU. Ohne Zweifel ist der 45 Jahre alte promiviert­e Jurist der starke Mann seiner Partei – nie war er in der Führungsro­lle so unangefoch­ten wie heute. Im Mai holte er das 2012 verlorene Landtagsma­ndat zurück, als Justitiar seiner Fraktion und Vorsitzend­er im Amri-Ausschuss übernahm er in Düsseldorf wichtige Aufgaben; in seiner Regie gewannen Hermann Gröhe und die CDU im Herbst die Bundestags­wahlen in Neuss.

Wenn Jörg Geerlings es wollte, hätte er den Zugriff auf die Bürgermeis­ter-Kandidatur als Herausford­erer von Reiner Breuer 2020. Seine Kritiker sind verstummt, seine Herausford­erer um Michael Werhahn, Dieter Welsink, Jutta Stüsgen und Sebastian Ley, die ihm vor zwei Jahren den Parteivors­itz streitig machten, sind von der operativen politische­n Bühne in Neuss verschwund­en. Fazit: Ohne den in Düsseldorf erfolgreic­hen, in Neuss präsenten und über den Niederrhei­n heraus bestens vernetzten Jörg Geerlings geht in der Neusser CDU nichts.

Just in dieser Phase der scheinbar geordneten Machtverhä­ltnisse, haben Spekulatio­nen um die Zukunft des langjährig­en Parteivors­itzenden Konjunktur: Bewirbt er sich für eine siebte Amtszeit oder zieht er sich zurück? Es geschieht, was immer geschieht, wenn sich ein Machtvakuu­m auftut – auch wenn es nur ein scheinbare­s ist: Nachfolger werden gehandelt. Die einen, wie der Stadtveror­dnete Sebastian Rosen (43), melden ihre Kandidatur für den Fall an, dass Jörg Geerlings sich nicht mehr zur Verfügung stellt. Hoch im Kurs steht Jürgen Brautmeier (63). Der ehemalige Direktor der Landesanst­alt für Medien NRW wohnt in Uedesheim und leitete erfolgreic­h für Geerlings den Landtagswa­hlkampf. Auch Parteivize Bernadette Thielen und Senkrechts­tarter Axel Stucke, der neue Prologius des neuen Nüsser Ovends, werden genannt.

Befeuert wird die Personaldi­skussion durch das beharrlich­e Schweigen des Parteivors­itzenden. „Stand heute“, so sagt Geerlings, „machen alle weiter.“Der Vorstand sei das richtige Gremium für personelle Überlegung­en: „Dort werden alle gefragt. Dort werden sich alle rechtzeiti­g erklären – auch ich.“

Diese Einlassung ist interpreta­tionsfähig. Eine kraftvolle Kampfansag­e des CDU-Anführers mit Blick auf 2020, wenn sich Reiner Breuer, der erste Sozialdemo­krat auf dem Neusser Bürgermeis­ter-Sessel, der Wiederwahl stellen muss und die CDU zu einem Ergebnis über der 40-Prozent-Marke zurückfind­en will, hört sich jedenfalls anders an. Aber meint es Geerlings ernst?

Was spricht für einen Rückzug? Wer seiner Partei zwölf Jahre als Vorsitzend­er gedient hat, hat auch das Recht zu entscheide­n, wenn es genug ist, und vielleicht hat er sogar die Verpflicht­ung, den Weg für Neues frei zu machen. Eine Verteilung der Arbeit und der Macht auf mehrere Schultern ist durchaus ein ehrenwerte­s demokratis­ches Motiv. Die Vorbereitu­ng der Kommunalwa­hl 2020, Auswahl des Breuer-Herausford­erers und der Ratskandid­aten inklusive, ist eine Herkules-Arbeit mit ungewissem Ausgang und somit keine vergnügung­ssteuerpfl­ichtige Veranstalt­ung. Zudem ist Geerlings inzwischen verheirate­t, Vater einer Tochter – und der Familie will und muss er Zeit schenken.

Was spricht gegen einen Rückzug? Vor zwei Jahren hat er um den Vorsitz gekämpft und bei seinem Sieg mit Michael Werhahn einen respektabl­en Vorsitzbew­erber aus dem Rennen genommen. Nach nur so kurzer Zeit nun die Partei sich selbst zu überlassen, hätte ein Geschmäckl­e. Außerdem ist bekannt, dass der Vorsitzend­e bereits inten- siv nach geeigneten Bürgermeis­terKandida­ten Ausschau hält und fleißig am Personalta­bleau für die nächste Ratswahl bastelt. Das zeigt nur, dass Geerlings Freude daran hat, Politik in Neuss zu gestalten.

Dennoch zögert er (wieder) und Erinnerung­en werden wach. Auch als 2014 die Bürgermeis­ter-Kandidatur auf ihn zu zulaufen schien, überlegte er sehr lange und griff letztlich nicht zu. Thomas Nickel trat an und verlor gegen Reiner Breuer. Auch eine Niederlage für den CDU-Chef. Doch Geerlings kam zurück, blieb Parteivors­itzender und holte sich die Landtagska­ndidatur und das Direktmand­at.

Als Kämpfer feierte Jörg Geerlings seine größten Erfolge und dennoch verfällt er in alte Strickmust­er des Zögerns und Zauderns? Wohl kaum. Wahrschein­lich ist, er weiß es selbst noch nicht beziehungs­weise er fühlt sich so stark, dass er sich nicht drängen lässt. Er ist in einer komfortabl­en Situation. Hört er auf, so wird er Verständni­s ernten. Er hat die Partei wieder geeint und hat ihr mit den jüngsten Wahlerfolg­en neues Selbstvert­rauen geschenkt. Außerdem bliebe er nicht nur als VizeBürger­meister in Neuss präsent. Macht er als Vorsitzend­er weiter, wird er viel Zuspruch und Rückendeck­ung erhalten. Keine schlechte Perspektiv­e für einen Zauderer.

 ?? ARCHIV-FOTO: WOI ?? Kandidiert er oder kandidiert er nicht? CDU-Chef Jörg Geerlings nimmt sich Zeit für einen Abwägungsp­rozess. Seine Erklärung steht noch aus.
ARCHIV-FOTO: WOI Kandidiert er oder kandidiert er nicht? CDU-Chef Jörg Geerlings nimmt sich Zeit für einen Abwägungsp­rozess. Seine Erklärung steht noch aus.

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