Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Rückkehr der Hürdenläuf­erin

Sieben Monate setzt der Ischiasner­v Cindy Roleder außer Gefecht. Nun meldet sich die Europameis­terin und WM-Zweite zurück im Duell mit Pamela Dutkiewicz. Heute Abend starten beide beim Meeting in Düsseldorf.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF Alles ist angerichte­t an diesem 12. August 2017. Die Weltspitze hat sich vor den acht Startblöck­en versammelt. Knapp 65.000 Zuschauer im WM-Stadion von London erwarten den Finallauf über 100 Meter Hürden. Das ist der Moment, auf den Cindy Roleder monatelang hingearbei­tet hat. Und jetzt sitzt sie zu Hause vor dem Fernseher. Schaut zu, wie Pamela Dutkiewicz Bronze für Deutschlan­d gewinnt. Nicht sie, Roleder. Eine Entzündung des Ischiasner­vs hatte sie im Mai zum Saisonende gezwungen. „Natürlich habe ich mir das Finale angeguckt. Das verlangt schon der Respekt, den ich vor meinen Konkurrent­innen habe. Natürlich war auch ein bisschen Wehmut dabei, aber damit musste ich umgehen. Ich finde, ich habe das ganz gut geschafft“, sagt Roleder heute. Gut sieben Monate später. Zurück auf der Bahn. Cindy Roleder

Heute Abend geht die 28-Jährige vom SV Halle beim PSD-Bank-Meeting in der Leichtathl­etik-Halle im Düsseldorf­er Arena-Sportpark an den Start. Bereits vorgestern reiste sie an, per Fahrgemein­schaft mit Sprinter Julian Reus vom LAC Erfurt. Und genau das ist das, was sie braucht: Starts. Starts, Starts und nochmal Starts. Zwei vielbeacht­ete hat sie in dieser Hallensais­on schon absolviert. Beim Istaf Indoor in Berlin wurde sie Dritte über die 60 Meter Hürden. In 7,93 Sekunden. Am Samstag in Karlsruhe war sie wieder Dritte. Diesmal in 7,84 Sekunden. Einstellun­g der eigenen Bestzeit. „Nach sieben Monaten ohne Wettkämpfe freue ich mich gerade einfach auf jedes Meeting. Vor allem auf die Atmosphäre. Das glaubt man gar nicht, wie sehr man so etwas vermisst. Wie ich jetzt zurückgeko­mmen bin, hätte ich aber selbst nicht gedacht“, sagt Roleder.

Sie lächelt, als sie diesen Satz sagt – „wie ich jetzt zurückgeko­mmen bin“. Denn das war ja lange die große Unbekannte, die in ihrem Kopf herumspukt­e während der Zwangspaus­e. Wie würde sie zurückkomm­en? Sie, die Vize-Weltmeiste­rin von 2015, die Europameis­terin von 2016, die Hallen-Europameis­terin von 2017. Mit den Leistungen aus Berlin und Karlsruhe beseitigte sie nun solche Zweifel. „Es gibt mir Sicherheit, dass ich weiß, ich kann da vorne wieder mitmischen. Und es wissen jetzt alle, dass ich wieder da bin“, sagt Roleder. Die Konkurrenz darf letzteres durchaus als Ansage verstehen.

Die Verletzung hat Roleder verändert. Das gibt sie offen zu. Vor allem die Art der Verletzung. „Am härtesten war es, zu erkennen, dass einem keiner richtig helfen kann, dass es keine Medizin dagegen gibt außer Beine hochlegen und abwarten. Das Einzige, was sonst etwas gebracht hat, war Vitamin B12. Toll, oder?“, erzählt sie.

Sie hatte die verschiede­nsten Therapeute­n und Ärze besucht, sogar einen Neurologen, um einfach mal zu schauen, ob der Ischiasner­v überhaupt noch reagiert. Das tat er, und deswegen reagierte Roleder auch. „Ich gehe viel öfter als früher zur Physiother­apie. Ich habe die Ernährung ein bisschen umgestellt. Das Training passte auch früher zu 100 Prozent, aber die anderen Dinge, die nebenbei gelaufen sind, die waren halt nicht hundertpro­zentig profession­ell. Daraus habe ich gelernt“, sagt sie.

Es ist bei ihr wie letztlich bei vielen Athleten, die ihr Comeback angehen. Sie horchen mehr in sich hinein, steuern die Belastung besser. Das frühere Gefühl, Kraft ohne Ende zu haben, wich dem Gefühl, mit den Kräften haushalten zu müssen. „Ich merke den Nerv schon immer mal wieder, aber ich weiß damit umzu- gehen. Und ich habe meine ein, zwei Übungen, um gegenzuste­uern. Insgesamt bin ich überrascht, wie gut es mir nach den jüngsten Wettkampfb­elastungen geht“, sagt Roleder.

Das stimmt sie positiv, dass sie den Trainingsa­ufbau in dieser Saison wie geplant durchziehe­n kann. „Das gesamte Training ist auf Berlin ausgericht­et. Mein Hauptziel ist es, dort meinen Titel zu verteidige­n. Das wird ein Riesen-Fest“, sagt Roleder mit Blick auf den Saisonhöhe­punkt im August, die EM im Olympiasta­dion. Die Veranstalt­ung, die sie entschädig­en soll für das Zuschauen von London. Doch vielleicht weil Roleder selbst zugibt, dass Sprinterin­nen eher mentale Einzelgäng­er sind, fokussiert auf sich und die eigene Bahn, hat der Rummel um Dutkiewicz im Anschluss an ihren Bronzelauf bei der WM das Verhältnis der beiden auch nicht belastet. „Wir fordern uns, aber wir respektier­en auch die Leistung der jeweils anderen“, sagt Roleder. Vor ihrer Verletzung war sie der Platzhirsc­h, die Wattensche­iderin Dutkiewicz die Herausford­erin.

Jetzt ist es anders, anders auch deswegen, weil in Nadine Hildebrand und Ricarda Lobe zwei weitere aus dem Team des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes längst in die erweiterte europäisch­e Spitze hineingest­oßen sind. „Ich finde es richtig super, dass ich als Titelverte­idigerin die Wild Card für die EM habe und so drei weitere Deutsche teilnehmen können. Unser Traum ist es, dass alle vier im Finale stehen. Wir haben das Potenzial, das hinzubekom­men – und dann hole ich am liebsten den Titel“, sagt Roleder und lacht. Es ist das Lachen einer, die weiß, dass sie zurück ist.

„Dinge, die nebenbei gelaufen sind, waren halt nicht hundertpro­zentig profession­ell“

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FOTO: IMAGO Cindy Roleder während ihres Starts beim letztjähri­gen Düsseldorf­er Meeting. Wenig später wird sie HallenEuro­pameisteri­n, dann folgt die Verletzung­spause.

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