Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Geschädigte Myelinscheide
schen Universitätsklinik in Düsseldorf und einer der international führenden Fachleute für diese Krankheit; seine Abteilung gilt in Europa neben London als „Center of excellence“.
CIDP ist nicht auf lange Frist tödlich wie ALS (die Amyotrophe Lateralsklerose, an welcher der Maler Jörg Immendorff starb), nicht so variantenreich und tückisch wie die Multiple Sklerose, die mit Spastiken einhergeht und im Gegensatz zur CIDP das zentrale Nervensystem angreift; nicht so schnell aufflammend wie das Guillain-Barré-Syndrom, das oft die Folge einer Infektionskrankheit ist. Die CIDP entwickelt sich langsamer und erreicht ihren ersten Krankheitsgipfel meist nach mindestens zwei Monaten. „Gelegentlich gesellt sich ein Tremor der Arme hinzu“, sagt Hartung. Die CIDP ist eine seltene Krankheit; von 100.000 Menschen bekommen sie zwei. Meist manifestiert sie sich im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Hans-Peter Hartung Immer ist zu prüfen, ob die Symptome andere Ursachen haben Ein Neurologe muss die CIDP immer ins diagnostische Kalkül ziehen, wenn jene Neuropathien ihre Ursache nicht in einem Diabetes (Zuckerkrankheit), einer mit Alkoholgenuss verbundenen Krankheit (die Abbauprodukte von Ethanol lagern sich ab und sind giftig für die Nervenzellen) oder einer Mangelund Fehlernährung haben; CIDP kann sogar die Folge der medikamentösen Therapie eines anderen Leidens sein. „Die Erkrankung kann schubförmig verlaufen oder sich allmählich und chronisch verschlimmern, bis hin zu einer dauerhaften Behinderung“, so Hartung; sie kann sich aber auch zurückbilden.
Bei der klinischen Untersuchung schaut der Neurologe die betroffenen Muskeln sehr genau an: Sind sie verkümmert? Er untersucht, wie der Patient geht, wie gut und kraftvoll er zupacken kann; er kontrolliert die Oberflächensensibilität und die Muskelreflexe, er misst die elektrische Nervenleitfähigkeit an allen Extremitäten, weil bei einer CIDP ein Impuls über eine Strecke deutlich verlangsamt oder gar blockiert ist; er erforscht die sensiblen Fasern des Nervs (die ein Gefühl etwa am Fuß ins Gehirn vermitteln) oder die motorischen Fasern (die einen Impuls aus dem Gehirn an die Hand weitergeben).
Ebenfalls untersucht er das Nervenwasser mit der sogenannten Liquorpunktion, weil er bei einer CIDP ein bestimmtes Eiweiß im Bereich der Nervenaustrittswurzeln findet. Man kann auch den Nerv selbst untersuchen; dazu entnimmt der Arzt in einer Biopsie ein Ministück Nervenfaser, und zwar an einem Nerv in der Ferne, den der Mensch von fast allen seinen Nerven nicht so sehr braucht und der gut zugänglich ist: der sogenannte Nervus suralis, er liegt in der Nähe des Fußknöchels. „Dieser Eingriff belastet den Patienten aber nur wenig, die Folgen sind in der Regel schon einige Monate später kaum noch zu spüren“, sagt der Fachmann.
Hartung hat mit einigen Kollegen soeben im angesehenen Fachjournal „Lancet“dargelegt, wie sich die CIDP in Zukunft für die Patienten deutlich angenehmer behandeln lässt. Normalerweise gibt man ihnen Cortison, aber immer nur für kurze Zeit, um die zum Teil erheblichen Folgeschäden durch dauerhaft eingenommenes Cortison zu vermeiden, und man führt eine spezielle Blutwäsche durch, die sogenannte Plasmaaustausch-Therapie (Plasmapherese).
Sehr effektiv ist der Einsatz sogenannter Immunglobuline (Ig), das sind Eiweiß-Antikörper, die dem Körper in eine Vene gespritzt werden. Immunglobuline können die Angriffe des Immunsystems regulieren und so dafür sorgen, dass sich die Symptome bessern. Immunglobuline sind fast nebenwirkungsfrei und aus etwa 5000 Spenderplasmen gewonnen und gereinigt, „da steckt das immunologische Gedächtnis von sehr vielen Menschen drin“(Hartung). Einer der Effekte der Immunglobulin-Therapie: Die Makrophagen etwa, die sich als Fresszellen an der Myelinscheide zu schaffen machen, werden gebremst, überschießende Reaktionen des Immunsystems werden kontrolliert.
„Die neue Therapie hat eine Studie sorgfältig geprüft“ (Neurologie-Professor)
Für die Behandlung müssen die Patienten nicht mehr reisen Bislang müssen viele Patienten für ihre Immunglobulin-Therapie regelmäßig zu einem Neurologen oder gar in weit entfernte spezialisierte Behandlungszentren reisen, zumal die Dosis der Injektion regelmäßig überprüft und neu eingestellt werden muss. In Ländern mit schlechter medizinischer Infrastruktur ist das zum Teil mit erheblichen Problemen verbunden. Hartung war jetzt an einer Studie beteiligt, in der die Möglichkeiten einer kontinuierlichen Ig-Abgabe ins Unterhautfettgewebe (subkutan, also unter die Haut) geprüft wurde – die Ergebnisse waren bedeutend und glichen jenen mit intravenöser Anwendung.
Wie funktioniert das Verfahren? Bei der subkutanen Therapie wird eine kleine elektronische Pumpe am Bauch befestigt, die eine Zuführung unter die Haut besitzt. Zu festgelegten Zeitpunkten oder kontinuierlich entlässt sie Immunglobuline ins Fettgewebe. Solche Pumpen gibt es mittlerweile bei verschiedenen Krankheiten – bei der CIDP ist sie möglicherweise ein sehr wichtiger Schritt zur Kontrolle der Krankheit. Und sie ist glücklicherweise bereits zugelassen.