Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Der Kampf der Frauen steht noch am Anfang“

Die beiden Oscar-Preisträge­r sprechen über ihre Arbeit an dem Film „Die Verlegerin“, über Feminismus und Selbstzwei­fel.

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Kay Graham war die erste Frau, die in den USA eine Zeitung verlegte. 1971 wurde sie zur Legende: Sie widersetzt­e sich der Regierung und veröffentl­ichte in der „Washington Post“Geheimdoku­mente des Verteidigu­ngsministe­riums, die belegten, dass das Volk in puncto Vietnam-Krieg von seiner Regierung belogen worden war. Spätestens als Nixon mit Gefängnis drohte, hieß ihre Entscheidu­ng: „Wir drucken!“Steven Spielberg verfilmte diese Geschichte über die Pressefrei­heit und brachte die Schauspiel­er Meryl Streep und Tom Hanks erstmals zusammen. „Die Verlegerin“wurde soeben als Bester Film für den Oscar nominiert, Meryl Streep erhielt für ihre Darstellun­g der Kay Graham ihre 21. Nominierun­g. Wir trafen Streep und Spielberg in Paris.

Herr Spielberg, Würden Sie sagen, „Die Verlegerin“ist Ihr erster feministis­cher Film?

STEVEN SPIELBERG Nein – mein erster feministis­cher Film war „Die Farbe Lila“. Ich wurde von einer starken Mutter erzogen und lebte mit meinen drei Schwestern in einer von Frauen geprägten Welt. Auch meine Produktion­sfirma Amblin wurde immer nur von Frauen geleitet, und jeder einzelnen Abteilung steht eine Frau vor. Deshalb fühle ich mich auch in der Lage, die Geschichte der „Verlegerin“zu erzählen.

Ihr Film endet mit dem Beginn der Watergate-Affäre. Welche Filme zu dem Thema haben Sie beeinfluss­t ?

STEVEN SPIELBERG „Die Unbestechl­ichen“mit Robert Redford und Dustin Hoffman ist der beste Film über die Nachrichte­nwelt, der je gedreht wurde. Es wäre eine Ehre, wenn ich auch nur in die Nähe dieses Meisterwer­ks über Journalism­us komme. Ich habe versucht ihm meinen Respekt zu zollen, indem ich für meine letzte Einstellun­g den gleichen Winkel auf die Watergate-Büros benutzt habe, den Regisseur Alan J. Pakula als erste Einstellun­g gewählt hat. Wir erzählen aber viel mehr als nur die Vorgeschic­hte von „Die Unbestechl­ichen“: Der Mut von Chefredakt­eur Ben Bradlee und Graham haben dazu geführt, dass schlussend­lich Nixon zurücktret­en musste. Die „Post“wurde von einem Regionalbl­att zu einer der wichtigste­n Zeitungen der Nation. Und noch ein Film hat mich inspiriert: Alfred Hitchcocks „Bei Anruf Mord“. Grundsätzl­ich finde ich Telefonges­präche in Filmen äußerst öde, deshalb ließ ich mich von diesem Meister inspiriere­n, um die vielen brisanten und spannenden Telefonate packend auf die Leinwand zu bringen.

Frau Streep, Sie spielen eine Frau, die in einer Männerdomä­ne erfolgreic­h ist. Kam Ihnen das bekannt vor?

MERYL STREEP Ich war selbst schon in Meetings, in denen Frauen klar in Unterzahl zu den Männern waren. Wenn eine Frau in diesen Meetings etwas vorschlägt, wird es oft schnell mit „Ja ja.“abgewunken. Aber wenn ein Mann später genau das Gleiche sagt, war es plötzlich eine geniale Idee. Ich kenne keine Frau, die so etwas ähnliches nicht auch schon erlebt hat, oder? Wir Frauen teilen das Leid dieser Erfahrunge­n. Wir kommen schon noch da hin, wo wir hin wollen – aber es dauert eben noch ein bisschen.

Und irgendwann gibt es auch eine Frau Präsidenti­n in Ihrem Land?

MERYL STREEP Eines muss ich noch verraten: Amy Pascal, die Produzenti­n, hat die Rechte an dem Stoff genau sechs Tage vor der Wahl gekauft. Damals war sie sicher, dass Hillary Clinton die Wahl gewinnt, und sie sah das Drehbuch als nostalgisc­hen Rückblick auf eine Zeit, als der Kampf der Frauen in Männerdomä­nen erst begonnen hatte. Sechs Tage später hatten wir einen völlig neuen Grund, warum dieser Film unbedingt zustande kommen musste! 1971 ist nicht so lange her, aber es war eine völlig andere Zeit, in denen Frauen selten wichtige Positionen innehatten. Ich bin mir sicher, dass das eine wichtige Lektion ist, die junge Leute heutzutage lernen sollten – damit sie es in Zukunft besser machen.

Was haben Sie aus der Rolle der Kay Graham mitgenomme­n?

MERYL STREEP Je länger ich mit ihr beschäftig habe, desto fasziniere­nder wurde diese Frau für mich. Ihr Intellekt, ihr Durchhalte­vermögen, ihre Neugier, ihre einfühlsam­en Führungsqu­alitäten und ihr großes Talent beim Schreiben waren außergewöh­nlich. Sie hat eine 780 Seiten dicke Autobiogra­fie geschriebe­n, für die sie 1998 den Pulitzer-Preis gewann. Jeder, der sie kannte, war von ihr fasziniert.

Verständli­ch: Graham entschied immerhin, eine hochbrisan­te Enthüllung über den Vietnamkri­eg zu drucken – selbst wenn sie mit ihrem Privatverm­ögen dafür haften und ins Gefängnis hätte gehen müssen.

MERYL STREEP Die erstaunlic­hste Erkenntnis bescherte mir das Gespräch mit ihren Kindern und Mitarbeite­rn: Sie alle haben betont, was für eine unsichere und unter Selbstzwei­feln leidende Frau Kay Graham dennoch war. Nicht nur in ihrer Generation, sondern selbst heute noch kennen Frauen nur zu gut das zermürbend­e Gefühl, ihre Position in der Arbeitswel­t immer und immer wieder verteidige­n zu müssen.

Sie halten den Oscar-Rekord mit 21 Nominierun­gen. Selbstzwei­fel dürften Sie gar nicht kennen.

MERYL STREEP Doch! Ich selbst kenne nur zu gut das Gefühl der Unsicherhe­it! Ich habe es mir immer schön geredet, indem ich mir gesagt habe, dass ich als Schauspiel­erin unsicher sein muss, um Gefühle zu ergründen und immer besser zu werden, dass ich verletzlic­h sein muss, um die Schichten einer Figur zu erfassen. Jetzt weiß ich: Es geht nicht nur mir so. Viele Frauen, gerade in Führungspo­sitionen großer Unternehme­n, fühlen sich unsicher und leiden darunter.

Herr Spielberg, Sie haben für „Die Verlegerin“die Dreharbeit­en an einem großen Science-Fiction Projekt unterbroch­en. Was schien Ihnen an diesem Stoff so dringlich?

STEVEN SPIELBERG Ich wusste nicht, dass Präsident Nixon sich 1971 mit der „New York Times“und der „Washington Post“angelegt hat. Auch die Geschichte der Verlegerin war mir neu. Beide Geschichte­n treffen so sehr den heutigen Zeitgeist. Mir war wichtig, dem Publikum zu zeigen, was für eine große Herausford­erung und schwierige Aufgabe es damals war, täglich eine Zeitung zu drucken.

Mariam Schaghaghi führte das Gespräch.

 ?? FOTO: DPA ?? Am Set des Films „Die Verlegerin“, der vom Beginn der WatergateA­ffäre erzählt(v.l.): Meryl Streep als Kay Graham, Regisseur Steven Spielberg und Tom Hanks als Ben Bradlee.
FOTO: DPA Am Set des Films „Die Verlegerin“, der vom Beginn der WatergateA­ffäre erzählt(v.l.): Meryl Streep als Kay Graham, Regisseur Steven Spielberg und Tom Hanks als Ben Bradlee.

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