Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Intendant Schulz hält an Hartmann fest

Zu 78 Prozent haben Männer das Sagen an Theatern. Daher fordert die Bewegung „Pro-Quote-Bühne“eine Frauenquot­e.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Ein US-Theater hat Woody Allens Musical vom Spielplan gestrichen, nachdem dessen Adoptivtoc­hter ihre Vorwürfe gegen den Regisseur im Fernsehen wiederholt und bekräftigt hat. Er habe sie als siebenjähr­iges Mädchen auf dem Speicher im Haus ihrer Mutter missbrauch­t. In Washington­s National Gallery wurde eine Ausstellun­g mit Chuck Close kurzfristi­g abgesagt, da der hochbetagt­e Künstler seine Modelle belästigt haben soll.

Soll man jetzt Allens Filme nicht mehr gut finden, und muss man alle Close-Bilder in den Museen von den Wänden nehmen? Die Frage nach der Autonomie eines Kunstwerks wird zurzeit diskutiert. Dass ein Werk getrennt von seinem Urheber zu bewerten sei, dafür spricht sich die Mehrheit aus. Doch kann man Qualität beurteilen ohne Rücksicht auf den Urheber? Diese Frage beschäftig­t besonders die Filmbranch­e, seit der Fall Weinstein fast täglich neue Enthüllung­en beschert.

Angesichts der Drastik der #MeToo-Debatte, die in den USA wegen der Vorwürfe von sexueller Belästigun­g durch Produzent Harvey Weinstein an Schauspiel­erinnen losgetrete­n wurde, schauen nun alle genauer hin. Männer wie Weinstein werden durch die öffentlich­e Beobachtun­g und durch das Gesetz daran gehindert, weiter so zu verfahren wie bisher. Die Weinsteins dieser Welt müssen mit Widerstand rechnen. In Deutschlan­d steht Dieter Wedel am Pranger. Der Regisseur und Festspiell­eiter soll Frauen sexuell genötigt und zu Dingen gezwungen haben, die sie nicht wollten. Wedel ist der Taten juristisch nicht überführt, er streitet vieles ab.

Was derzeit die Wiener und Düsseldorf­er Theaterwel­t zum Beben bringt, ist nicht vergleichb­ar mit diesen Fällen, führt aber zu den selben Strukturpr­oblemen, zu Macht und Machtausüb­ung von Männern im Kunstbetri­eb. Dem Ex-Chef des Burgtheate­rs, Matthias Hartmann, der in der Landeshaup­tstadt das Bowie-Musical „Lazarus“verantwort­et, werden Jahre nach seinem Weggang aus Wien verbale Entgleisun­gen in Richtung Sexismus und Rassismus vorgeworfe­n, die strafrecht­lich zwar nicht relevant sind, den Ruf des Regisseurs indes beschädige­n. Hartmann hat aus seiner Sicht zu allen Beschuldig­ungen Stellung bezogen, den Druck erklärt, unter dem er steht, und sich entschuldi­gt. „Ich bin groß, durchsetzu­ngsstark und ungeduldig“, sagte der 54-Jährige. Er habe stets versucht zu vermeiden, mit der Macht zu spielen.

Dass man Hartmanns „Lazarus“Inszenieru­ng losgelöst von den Vorwürfen aus Wien betrachten müsse, dafür macht sich der Düsseldorf­er Intendant Wilfried Schulz stark. Der Vorsitzend­e des Freundeskr­eises, Michael Strahl, teilt diese Einschätzu­ng. Aus den Proben an seinem Haus, so Schulz, seien ihm keine besonderen Vorfälle zu Ohren gekom- men. Auf die Idee, das Stück wegen der Wiener Querelen abzusetzen, kommt er sicher nicht.

Im Theater entscheide­t grundsätzl­ich ein Intendant oder Regisseur über die Besetzung – mit der Besetzung über Karriere und Wohlstand. Dass neben künstleris­chen Kriterien persönlich­e Vorlieben zum Tragen kommen, ist nicht ausgeschlo­ssen. Dabei kann offenbar Sex als Belohnung für eine Besetzung ausgehande­lt oder erzwungen werden. Bei Theaterche­finnen ist so etwas kaum vorstellba­r, sie neigen auch nicht zu derben Sprüchen und gehen behutsam mit Macht um.

Der männlichen Dominanz im Bühnenbetr­ieb müsse der Kampf angesagt werden, fordern die in der „Pro-Quote-Bühne“kämpfenden Berliner Theatersch­affenden. Sie wollen 50 Prozent aller Chefposten mit Frauen besetzt sehen, dann gebe es weniger Probleme mit übergriffi­gen Männern. Zurzeit haben zu 78 Prozent die Männer das Sagen an den Theatern. Doch schon jetzt gibt es an fast allen Häusern Verabredun­gen, zum Teil schriftlic­h, einen gültigen Verhaltens­kodex.

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FOTO: DPA Theatermac­her Matthias Hartmann.

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