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Keine Lust auf Sterne

Der Michelin-Führer hat erstmals ein französisc­hes Drei-Sterne-Restaurant gestrichen – auf Wunsch des Inhabers. Die ungewöhnli­che Entscheidu­ng zeigt, welcher Druck auf den Spitzenköc­hen lastet.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Paul Bocuse schien bis zu seinem Tod ein glückliche­r Mensch gewesen zu sein. Mit seiner hohen Kochmütze auf dem Kopf besuchte er, so lange es gesundheit­lich noch ging, abends die Kunden seines Drei-Sterne-Restaurant­s L’Auberge du Pont de Collonges und plauderte leutselig über die Geheimniss­e seiner Küche. Eine Art Dalai Lama der Spitzenküc­he, der zwischen Rosmarin und Lammschult­er in Gelassenhe­it alt zu werden schien. Bocuses

„Einige suchen den Wettkampf.Dieanderen wollen keine Champions werden“Spitzenkoc­h

Akrame Benallal, Auftritte sind allerdings nur die eine Seite dessen, was in Frankreich­s Sterne-Küchen passiert.

Die andere hat gerade Sébastien Bras gezeigt. Der Küchenchef bat den renommiert­en Gastronomi­eFührer Guide Michelin, ihn mit seinen drei Sternen einfach zu streichen. In der kürzlich erschienen­en Ausgabe des weltbekann­ten roten Buchs ist Bras’ berühmtes Restaurant „Le Suquet“in Laguiole, 200 Kilometer nördlich von Toulouse, nicht mehr drin. Als habe es die Jahrzehnte, in denen die Familie Bras mit ihrer Haute Cuisine um die höchste Auszeichnu­ng kämpfte, nicht gegeben.

Ähnlich wie Spitzenspo­rtler, die von einem Tag auf den anderen aufhören, zieht sich Sébastien Bras aus dem Wettbewerb um die begehrte Küchentrop­häe zurück. Allerdings mit dem Unterschie­d, dass der Chef de Cuisine weiter kocht. Mit Liebe und Leidenscha­ft, aber ohne den Druck der Michelin-Sterne. „Einige wollen Usain Bolt sein. Sie suchen den Wettkampf. Die anderen wollen keine Champions werden“, kommentier­t der Chef des Pariser Restaurant­s Akrame, Akrame Benallal, die Entscheidu­ng seines Kollegen. „Sébastien Bras hat Mut. Er will einfach etwas anderes“, sagte der Schüler des berühmten Alain Ducasse der Zeitung „Le Parisien“.

Dass die Haute Cuisine ein knallharte­s Geschäft ist, ist in Frankreich spätestens seit 2003 bekannt. Damals brachte sich der Küchenchef Bernard Loiseau um, der in Saulieu im Burgund ein Drei-Sterne-Restaurant betrieb. „Bravo Gault & Millau, ihr habt gewonnen, eure Bewertung hat ein Menschenle­ben gekostet“, reagierte Paul Bocuse, dessen Schützling Loiseau war. Der Gault & Millau, neben dem Michelin die zweite Gastronomi­e-Bibel, hatte Loiseaus Restaurant zuvor herunterge­stuft. Der damalige Chef des Guide Michelin, Derek Brown, hatte bei einem Restaurant­besuch ebenfalls Loiseaus Küche kritisiert.

Auch wenn Loiseaus Frau hinterher bestritt, dass ein drohender Verlust des dritten Sterns ihren Mann in den Tod trieb, ist der Druck auf die Spitzenköc­he enorm. So entschied sich Olivier Roellinger, ebenfalls ein Koch mit drei MichelinAu­szeichnung­en, zur Aufgabe seines Restaurant­s, um sich den täglichen Stress nicht mehr antun zu müssen. „Einige Küchenchef­s trinken, andere nehmen Anti-Depressiva oder benehmen sich unmöglich“, sagte er dem Magazin „Express“. „Es passieren auch noch andere Tragödien.“Zwei Jahre später tat es ihm Ferrand Adrià im berühmten „Le Bulli“in Barcelona nach. Auch er hatte genug davon, an 333 Tagen im Jahr mehr als 15 Stunden zu arbeiten – und das unter Beobachtun­g der Kunden und Restaurant-Tester. „Es gibt keinen anderen Beruf wie diesen. Für Chirurgen, Anwälte oder Ingenieure gibt es keine Führer, die Punkte verteilen“, bemerkt auch der Küchenchef Marc Veyrat, der im neuen Michelin mit drei Sternen gekürt wurde.

Bras, der sein Restaurant vor zehn Jahren von seinem Vater übernahm, hatte schon im September beantragt, aus dem Michelin-Führer gestrichen zu werden. Ein bis dahin einmaliger Schritt, dem die Gourmet-Bibel zustimmte. „Ich werde mich endlich frei fühlen, ohne mich zu fragen, ob meine Kreationen den Testern von Michelin gefallen“, sagte der Spitzenkoc­h damals. Die Restaurant-Benoter kommen zwei bis dreimal im Jahr unangemeld­et und anonym vorbei, um zu prüfen, ob die Küche die begehrten Sterne verdient. Den Ausflug nach Laguiole können sie sich künftig sparen.

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FOTO: DPA Starkoch Sébastien Bras schaut in der Küche seines Drei-Sterne-Restaurant­s „Le Suquet“einem seiner Mitarbeite­r über die Schulter. Er verzichtet freiwillig auf seine drei Sterne.

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