Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
So könnte Schwarz-Rot regieren
Die Union wirbelt in ihrer Ministerriege einiges durcheinander – de Maizière muss gehen. Die SPD bekommt drei Schlüsselressorts.
BERLIN Angela Merkel gilt nicht als Plaudertasche. Aber nach dieser harten Verhandlungsnacht mit der SPD will sie doch etwas „verraten“. Es geht um den erbitterten Streit, welche Partei welches Ministerium in einer künftigen großen Koalition bekommt. Die Sozialdemokraten haben der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin gleich drei Schlüsselressorts abgetrotzt: Außen, Arbeit und Soziales sowie zusätzlich Finanzen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting twittert: „Puuuh! Wir haben wenigstens noch das Kanzleramt!“
Merkel sagt zur Ressortverteilung, an der die Verhandlungen beinahe noch gescheitert wären: „Das war keine einfache Frage.“Es falle der CDU schwer, nach der erfolgreichen Zeit von Finanzminister Wolfgang Schäuble dieses Ressort an die Sozialdemokraten abzugeben. Auf der anderen Seite mache sie sich aber überhaupt keine Sorgen, dass die SPD zu viel Einfluss bekommen könne. Schließlich habe sie schon von 2005 bis 2009 als Regierungschefin ein Kabinett gehabt, in dem SPD-Politiker das Finanzministerium – und im übrigen ebenfalls das Außen- sowie das Arbeitsministerium – geführt hätten. Bekanntlich stürzte die SPD bei der Bundestagswahl 2009 auf 23 Prozent ab.
Merkel hält laut Plänen, die nach dem Abschluss des Koalitionsvertrags gestern Mittag gefasst wurden, ihr Versprechen ein, das Kabinett zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Schmerzhaft ist für sie, dass ihr treuer Innenminister Thomas de Maizière gehen muss, weil seinen Posten – um die Bereiche Heimat und Bau erweitert – CSUChef Horst Seehofer bekommen soll. Und problematisch könnte noch werden, dass nach der bekannt gewordenen Ministerliste der bisherige Finanzstaatssekretär Jens Spahn nichts wird. Er gehört zu Merkels schärfsten Widersachern, da hätte eine Einbindung in die Kabinettsdisziplin für Ruhe sorgen können.
Bemerkenswert ist, dass Merkels Favoritin für ihre Nachfolge, die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, nicht Bundesministerin werden soll. Es deutete sich früh an, dass sich Kramp-Karrenbauer erst einmal nicht auf einem Bundesposten von der Konkurrenz verheizen lassen möchte, bis der Wechsel an der Spitze wirklich naht.
Martin Schulz, der als Außenminister gehandelt wird, gibt am Abend offiziell bekannt, dass er den SPD-Vorsitz an SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles abgeben will. Das könnte die bevorstehende Mitgliederbefragung der SPD zu einer neuen Groko erleichtern. Nahles wird als größeres Schwergewicht gegen Merkel empfunden. Nebenbei: beide Frauen schätzen sich. Schulz sagt noch: In Parteien sind Inhalte auch mit Personen verbunden. Er steht für Außen. Hamburgs Bürgermeister, wegen seiner abgehackten Sätze auch bekannt als „Scholzomat“, wechselt zurück nach Berlin. Dort war er schon im ersten Groko-Kabinett von Angela Merkel Arbeitsminister. In der SPD hat er die größte Finanz-Expertise. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist eigentlich Innen- und Rechtsexpertin, nun soll sie das Riesenministerium Arbeit und Soziales übernehmen. Ein steiler Aufstieg: Die 49-Jährige wird für fast die Hälfte des gesamten Bundesetats zuständig sein. Der Saarländer hat vor allem durch seine intensive Öffentlichkeitsarbeit viel aus dem Justizministerjob gemacht, nun darf er bleiben. Er wird die geplante Aufstockung von Justizstellen umsetzen müssen, obwohl dafür eigentlich die Länder zuständig sind. Die Kleverin bleibt im Amt, obwohl sie schon das Rentenalter erreicht hat. Für die SPD ist sie unverzichtbar, weil sie den mächtigen NRW-Landesverband im Kabinett repräsentiert. Sie hat sich vor allem in der Klimapolitik einen Namen gemacht. Die Ex-Generalsekretärin der SPD strotzt vor Selbstbewusstsein, weil ihre Beliebtheitswerte in der SPD nicht so sehr abgesackt sind wie etwa die von Martin Schulz. Den Aufstieg in ein größeres Ministerium trauten ihr die Genossen aber nicht zu. Angela Merkel (63) Bundeskanzlerin (CDU) Olaf Scholz (59) Finanzminister (SPD) und wohl Vizekanzler Martin Schulz (62) Außenminister (SPD) Eva Högl (49) Arbeits- und Sozialministerin (SPD) Heiko Maas (51) Justizminister (SPD) Barbara Hendricks (65) Umweltministerin (SPD) (2013: 54,4) Katarina Barley (49) Familienministerin (SPD) Andreas Scheuer (43) Verkehrsminister (CSU) Sie war bisher Staatssekretärin im Verkehrsministerium und soll jetzt Entwicklungsministerin werden. Dafür muss Gerd Müller (CSU) gehen, den selbst die Grünen auf dem Posten gut fanden. In der letzten Legislaturperiode hatte die CSU gar keine Frau im Kabinett. Das kann sie sich jetzt nicht mehr leisten. Helge Braun (45) Kanzleramtsminister (CDU) Peter Altmaier (59) Wirtschaftsminister (CDU) Julia Klöckner (45) Landwirtschaftsministerin (CDU) Hermann Gröhe (56) Bildungsminister (CDU) Annette Widmann-Mauz (51) Gesundheitsministerin (CDU) Horst Seehofer (68) Innenminister (CSU) Dorothee Bär (39) Entwicklungsministerin (CSU) Die angeschlagene CDU-Vorsitzende kann ihre politische Zukunft vor allem durch die Bildung einer großen Koalition absichern. Gäbe es eine Neuwahl, wäre nicht sicher, ob sie das Heft noch in der Hand behielte. Im Ausland wird sie viel stärker als Garantin für eine stabile Regierung geschätzt als in Deutschland. Ursula von der Leyen (59) Verteidigungsministerin (CDU) Merkels Staatsminister für Bürokratieabbau soll Kanzleramtschef werden. Braun passt perfekt in die Riege von Menschen, die Merkel gern um sich hat: klug, bestens im Stoff, nach außen zurückhaltend. Der bisherige Kanzleramtschef soll Wirtschaftsminister werden. Er wäre gern Finanzminister geworden. Merkel tröstet: Das Wirtschaftsministerium habe die Union seit Jahrzehnten nicht gehabt. Altmaier spricht mehrere Sprachen und ist bestens vernetzt. Die Verteidigungsministerin ist in der Truppe wenig beliebt. Merkel will auf sie aber nicht verzichten. Sie weiß, wie schwierig gerade die Führung dieses Ministeriums ist. Von der Leyen könnte sich aber auch eine internationale Karriere vorstellen. Die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende soll Landwirtschaftsministerin werden. Sie kennt sich nicht nur auf dem Gebiet gut aus, sie gehört auch zu den prägnantesten Gesichtern der CDU: Frisch und forsch tritt sie auf, ihren einst am Boden liegenden Landesverband hat sie wieder aufgerichtet. Der bisherige Gesundheitsminister soll das Ressort Bildung und Forschung übernehmen. Davon träumten mehrere. Für das Ministerium wurden zusätzlich elf Milliarden Euro für die Digitalisierung an Schulen bewilligt. Der frühere CDU-Generalsekretär aus Neuss ist ein enger Vertrauter Merkels. Die bisherige Gesundheits-Staatssekretärin soll nun an die Spitze des Ministeriums rücken. Sie erfüllt gleich mehrere Kriterien: Fachfrau, frisches Gesicht und Baden-Württembergerin. Auch dieser Landesverband muss berücksichtigt werden. Der CSU-Chef soll Innenminister werden und dazu noch die Bereiche Bau und Heimat übernehmen. Er gehört zu Merkels allergrößten Widersachern in der Flüchtlingspolitik. Sie gehen professionell miteinander um. Aber er könnte ihr das Leben im Kabinett noch schwer machen.