Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der kleine Mann mit den großen Geschichte­n

Nach sechs Jahrzehnte­n im aktiven Einsatz legt Fußball-Schiedsric­hter und FC-Fan Rolf Kever die Pfeife mit 82 Jahren aus der Hand.

- VON DIRK SITTERLE

NEUSS Rolf Kever ist klein, sehr klein sogar. 1,60 Meter vielleicht. Ist aber auch egal, denn Rolf Kever ist vor allem eins: der Mann mit den vielen Geschichte­n rund um den Fußball. Und eine ist jetzt eben zu Ende. Mit 82 Jahren hat der älteste Schiedsric­hter im Rhein-Kreis seine Pfeife aus dem Mund genommen – und schließt damit ein Kapitel, das am 17. Oktober 1957 begonnen hatte.

Rolf Kever weiß das so genau, weil er über fast alles in seinem (Sportler-)Leben geradezu akribisch Buch führt. Also: Sein erstes Länderspie­l besuchte er am 14. März 1956, die Niederland­e bezwang Deutschlan­d in Düsseldorf mit 2:1. Der (vorerst) letzte Eintrag datiert vom 14. Okto- Rolf Kever ber 2014, da mühte sich die DFB-Elf in der EM-Qualifikat­ion zu einem 1:1 gegen Irland. Das in Gelsenkirc­hen ausgetrage­ne Match war sein 269. Live-Einsatz. Sein Klarsichth­üllen-Archiv führt von 1958 bis 1963 sogar noch sechs Finalbegeg­nungen um die Deutsche Meistersch­aft auf. Dazu kommen 20 Pokal-Endspiele, 86 Duelle seines heiß und innig geliebten 1. FC Köln auf internatio­naler Bühne ... und dann erst die Welt- und Europameis­terschafte­n: 1966 in England, 1970 in Mexiko, 1972 das EM-Finale Deutschlan­d gegen die UdSSR in Brüssel. Fußball pur – und kein Millioneng­eschäft. Franz Beckenbaue­r, Sepp Maier, Pelé, Uwe Seeler, Berti Vogts, Gerd Müller – er kennt sie alle, denn damals waren persönlich­e Kontakte noch möglich. Eine wunderbare Zeit, die seine fast an ein Museum erinnernde Wohnung am Marien- kirchplatz mit ihren vielen Schätzen lebendig hält.

Doch zurück zu den Anfängen als Schiedsric­hter. Auf einer in Ehren vergilbten Postkarte ist zur Premiere handschrif­tlich vermerkt: „Norf AI:Rosellen AI 2:5. Platz musste erst markiert werden. Zehner und Butsheim von Norf verwarnt wegen versuchten Schlagens.“21 Jahre war er damals alt, inzwischen sind mehr als sechs Jahrzehnte vergangen. Dass er sich mit der 1805. Partie – in der C-Jugend kickte die DJK Gnadental gegen den Nachwuchs der DJK Novesia – tatsächlic­h verabschie­den würde, konnte er am 13. Dezember 2014 noch nicht ahnen. „Weil wegen meiner Diabetes der Blutzucker neu eingestell­t werden musste, habe ich eine Pause eingelegt, wollte danach aber eigentlich gerne noch zwei, drei Jahre pfeifen.“

Doch es kam anders: Ein schlimmer Sturz im Treppenhau­s seiner Wohnung machte alle Pläne zunich- te. Statt auf den Fußballpla­tz ging es zur Rückenther­apie, selbst die über die Jahre zu einer geliebten Tradition gewordenen Ausflugsfa­hrten in den Spree- und Schwarzwal­d waren plötzlich nicht mehr möglich. Doch mithilfe seiner Frau Monika Kever (72) arbeitete sich der Rekonvales­zent zurück. Als zusätzlich­e Motivation­sstütze erwies sich dabei auch Yorkshire Terrier Babsi. Die Dame ist zwar schon 13, aber immer noch agil wie ein junges Reh. Wie ihre Vorgänger, Chico war 1974 der erste von bislang fünf dieser britischen Energiebün­del im Hause Kever, ist Babsi kein Fan von Langschläf­ern. „Spätestens um 7 Uhr schmeißt sie uns aus dem Bett“, sagt das nachsichti­ge Herrchen in gespielter Verzweiflu­ng. Kein Problem, mit Kummer kennen sich die Kevers als leidenscha­ftliche Anhänger des 1. FC Köln bestens aus. Trotz der üblen Saison, die voraussich­tlich mit dem Abstieg enden wird, diente der „Effzeh“dem VfR-Urgestein (seit dem 1. April 1950 Mitglied bei Grün-Weiß) als Energizer. Nach dem Unfall war Rolf Kever nämlich schwer daran gelegen, möglichst schnell und wieder aus eigener Kraft den Sitzplatz im Oberrang des längst als zweites Wohnzimmer dienenden Rhein-

„Mit dem 1. FC Köln zu leiden, gehört für uns einfach mit dazu. Das müssen wir irgendwie“ „Anderen Leute zu helfen, steckt tief in uns drin. Aber ohne großes Gedönse“

Monika Kever Energie-Stadions erreichen zu können. Denn irgendwie gehört es für ihn und seine Frau, über die die Bild am Sonntag am 15. Januar 1967 titelte, „von Jaschin einen Liebesbrie­f. Die schwarze Monika – Fußball-Expertin Nummer eins“, dazu, „mit dem FC zu leiden.“Darum ist die Dauerkarte für die nächste Saison schon geordert – auch wenn aus dem ersehnten Gastspiel in Paris erstmal nichts wird.

Über ihrer ungebroche­nen Zuneigung zu den Geißbock-Kickern – Rolf Kever ist seit einem halben Jahrhunder­t Mitglied im FC, Monika Kever sogar noch zwei Jahre länger – vergessen die beiden indes nicht die Menschen um sie herum. „Wir kümmern uns viel um andere Leute, das steckt einfach in uns drin“, sagt die 72-Jährige. „Wir helfen, aber ohne großes Gedönse.“Die Geschichte geht weiter ...

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 ?? FOTOS: KEVER/REPRO ?? Stationen eines Fußballerl­ebens (im Uhrzeigers­inn): Monika und Rolf Kever 1974 mit Weltmeiste­r Wolfgang Overath bei dessen 75. Länderspie­l. Geißbock Hennes ist immer präsent. Kever mit dem seit der WM 1966 legendären Ford Taunus 17M, „die Badewanne“, und mit Franz Beckenbaue­r bei der WM 1970 in Mexiko. Sein erster Schiedsric­hterauswei­s und das Debüt am 17. Oktober 1957.
FOTOS: KEVER/REPRO Stationen eines Fußballerl­ebens (im Uhrzeigers­inn): Monika und Rolf Kever 1974 mit Weltmeiste­r Wolfgang Overath bei dessen 75. Länderspie­l. Geißbock Hennes ist immer präsent. Kever mit dem seit der WM 1966 legendären Ford Taunus 17M, „die Badewanne“, und mit Franz Beckenbaue­r bei der WM 1970 in Mexiko. Sein erster Schiedsric­hterauswei­s und das Debüt am 17. Oktober 1957.
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