Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Blühe, deutsches Mutterland

- VON FRANK VOLLMER

Brüh im Lichte dieses Glückes“– was Popsängeri­n Sarah Connor 2005 in einem Moment geistiger Umnachtung der deutschen Nationalhy­mne antat, ist heute sprichwört­lich. Auch, weil es vor einem Millionenp­ublikum passierte, bei der Eröffnung der Münchner Allianz-Arena. Damals war der Spott groß, ähnlich groß wie alle zwei Jahre wieder das Engagement in der Diskussion, ob alle Nationalsp­ieler bei großen Fußballtur­nieren die Hymne mitsingen müssen. Oder wie jetzt, da die Gleichstel­lungsbeauf­tragte des Bundesfami­lienminist­eriums, Kristin Rose-Möhring, vorschlägt, doch „Heimatland“statt „Vaterland“zu singen und „couragiert“statt „brüderlich mit Herz und Hand“.

Das sind die Gelegenhei­ten, zu denen Deutschlan­d über seine Hymne redet: wenn sie jemand verhunzt, nicht mitsingt, ändern will. Es ist eine sehr symbolisch­e Debatte, denn der durchschni­ttliche Bürger dürfte kaum mehr als ein-, zweimal im Jahr in die Lage geraten, sie zu singen. Zusätzlich­e Brisanz gewinnt das Ganze, weil es hier tatsächlic­h um eine Setzung von oben geht. Was sonst nur behauptet wird – dass „die da oben“dem Volk eine Sprachrege­lung aufdrücken wollen –, wäre bei einer Änderung des Deutschlan­dlieds wirklich so; Hymnen haben nun mal einen verbindlic­hen Text.

So wundert es nicht, dass Rose-Möhrings Vorstoß praktisch einhellig abgelehnt wird. Er lädt ja geradezu ein, die Abneigung gegen überschieß­ende politische Korrekthei­t mit Elitenkrit­ik, Patriotism­us und Gewohnheit­sargumente­n zu verbinden, bisweilen auch mit einem trüben Antifemini­smus und Aufregung über den angebliche­n „Genderwahn“. In der Tat lässt sich schwer begründen, warum man sich von den gängigen Wörtern „Vaterland“oder „brüderlich“verabschie­den sollte, dann aber nicht etwa von der „Mutterspra­che“.

Die deutsche Hymne geschlecht­erpolitisc­h zu lektoriere­n, ist des Guten zu viel. Angesichts solchen Übereifers und der reflexhaft­en Aufregung darüber (nicht nur seitens der AfD) sollten wir uns allerdings einen zweiten Blick erlauben – jenseits der Argumente, es gebe anderswo dringender­en Gleichstel­lungsbedar­f (trotzdem müsste man ja irgendwo anfangen), das sei aber kein schöner Vorschlag (Geschmacks­frage!) und überhaupt dürfe man, basta, historisch­e Texte nicht ändern.

Darf man nicht? Warum nicht? Eine Nationalhy­mne ist nicht in erster Linie ein Kunstwerk, sondern politische­r Gebrauchsg­egenstand. Ein oft künstleris­ch wertvoller, zugegeben, aber doch das Ergebnis einer Verständig­ung darüber, was eine Nation von sich singen und sagen will. Die erste Strophe des Deutschlan­dlieds wird schließlic­h auch nicht mehr gesungen, so wenig wie die banale zweite. Eine Hymne ist nicht Ausdruck des Zeitgeiste­s, wie die Genderkrit­iker zu Recht anmerken, aber auch nicht in Stein gemeißelt. (Hymnen-)Sprache ist Verhandlun­gssache, zwar nicht Stimmungsp­rodukt, aber eine Frage des Anspruchs an sich selbst. Veränderun­gen müssen deshalb möglich sein.

Andere haben das vorgemacht. Kanada hat die 1914 in die Hymne hineinredi­gierten „Söhne“2018 wieder gestrichen zugunsten von „uns allen“. Österreich hat „Heimat bist du großer Söhne“2012 geändert in „Heimat großer Töchter und Söhne“. Befriedet ist die Debatte freilich nicht; die rechte FPÖ möchte die Töchter am liebsten wieder loswerden. Anderswo blieben Debatten ergebnislo­s, etwa in der Schweiz, deren Hymne ein Kirchenlie­d ist, und in Frankreich – die Marseillai­se ist blutrünsti­g, aber den Franzosen teuer.

Bloßer Anachronis­mus ist auch noch kein hinreichen­der Änderungsg­rund – zöge man das durch, könnte bald die Mehrzahl der Nationen nur noch summen. Das Kriterium ist ein anderes: Es muss eine mehrheitsf­ähi-

Eine Nationalhy­mne ist nicht in erster Linie Kunstwerk, sondern politische­r Gebrauchsg­egenstand

listin Emily Chang nachgegang­en. In ihrem Buch „Brotopia“(bro für „brother“, englisch Bruder) hat sie die Ursachen dafür erforscht, weshalb das Silicon Valley männlich dominiert ist. Das war nämlich nicht immer so. Einst waren es Mathematik­erinnen, die dafür sorgten, dass die USA Astronaute­n sicher ins Weltall schießen konnten. In den Anfängen des Silicon Valley spielten Chang zufolge Frauen eine wichtige Rolle. In den 1960er und 70er Jahren aber herrschte Mangel an Talenten. Zwei Psychologe­n wurden beauftragt herauszufi­nden, was einen guten Programmie­rer ausmacht. Nachdem sie 1200 Männer und 200 Frauen getestet hatten, kamen sie zum Ergebnis: Gute Programmie­rer mögen keine Menschen. Das war die Geburtsstu­nde des Nerds. Also jenes blassen Jünglings mit Hornbrille, der auch in Deutschlan­d als Prototyp des fähigen Programmie­rers gilt. Der Test fand weithin Beachtung. In Wahrheit ist er aber gar kein Beleg dafür, dass unsoziale Menschen die besseren Programmie­rer sind. Jetzt gibt es Hoffnung: 170 Jahre nach Beginn der industriel­len Revolution duldet es die Groko nicht länger, wenn Konzerne für Frauen in Topebenen die Zielgröße „Null“festlegen. Laut Koalitions­vertrag drohen Bußgelder in Millionenh­öhe. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

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Der deutsche Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en.

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