Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Blühe, deutsches Mutterland
Brüh im Lichte dieses Glückes“– was Popsängerin Sarah Connor 2005 in einem Moment geistiger Umnachtung der deutschen Nationalhymne antat, ist heute sprichwörtlich. Auch, weil es vor einem Millionenpublikum passierte, bei der Eröffnung der Münchner Allianz-Arena. Damals war der Spott groß, ähnlich groß wie alle zwei Jahre wieder das Engagement in der Diskussion, ob alle Nationalspieler bei großen Fußballturnieren die Hymne mitsingen müssen. Oder wie jetzt, da die Gleichstellungsbeauftragte des Bundesfamilienministeriums, Kristin Rose-Möhring, vorschlägt, doch „Heimatland“statt „Vaterland“zu singen und „couragiert“statt „brüderlich mit Herz und Hand“.
Das sind die Gelegenheiten, zu denen Deutschland über seine Hymne redet: wenn sie jemand verhunzt, nicht mitsingt, ändern will. Es ist eine sehr symbolische Debatte, denn der durchschnittliche Bürger dürfte kaum mehr als ein-, zweimal im Jahr in die Lage geraten, sie zu singen. Zusätzliche Brisanz gewinnt das Ganze, weil es hier tatsächlich um eine Setzung von oben geht. Was sonst nur behauptet wird – dass „die da oben“dem Volk eine Sprachregelung aufdrücken wollen –, wäre bei einer Änderung des Deutschlandlieds wirklich so; Hymnen haben nun mal einen verbindlichen Text.
So wundert es nicht, dass Rose-Möhrings Vorstoß praktisch einhellig abgelehnt wird. Er lädt ja geradezu ein, die Abneigung gegen überschießende politische Korrektheit mit Elitenkritik, Patriotismus und Gewohnheitsargumenten zu verbinden, bisweilen auch mit einem trüben Antifeminismus und Aufregung über den angeblichen „Genderwahn“. In der Tat lässt sich schwer begründen, warum man sich von den gängigen Wörtern „Vaterland“oder „brüderlich“verabschieden sollte, dann aber nicht etwa von der „Muttersprache“.
Die deutsche Hymne geschlechterpolitisch zu lektorieren, ist des Guten zu viel. Angesichts solchen Übereifers und der reflexhaften Aufregung darüber (nicht nur seitens der AfD) sollten wir uns allerdings einen zweiten Blick erlauben – jenseits der Argumente, es gebe anderswo dringenderen Gleichstellungsbedarf (trotzdem müsste man ja irgendwo anfangen), das sei aber kein schöner Vorschlag (Geschmacksfrage!) und überhaupt dürfe man, basta, historische Texte nicht ändern.
Darf man nicht? Warum nicht? Eine Nationalhymne ist nicht in erster Linie ein Kunstwerk, sondern politischer Gebrauchsgegenstand. Ein oft künstlerisch wertvoller, zugegeben, aber doch das Ergebnis einer Verständigung darüber, was eine Nation von sich singen und sagen will. Die erste Strophe des Deutschlandlieds wird schließlich auch nicht mehr gesungen, so wenig wie die banale zweite. Eine Hymne ist nicht Ausdruck des Zeitgeistes, wie die Genderkritiker zu Recht anmerken, aber auch nicht in Stein gemeißelt. (Hymnen-)Sprache ist Verhandlungssache, zwar nicht Stimmungsprodukt, aber eine Frage des Anspruchs an sich selbst. Veränderungen müssen deshalb möglich sein.
Andere haben das vorgemacht. Kanada hat die 1914 in die Hymne hineinredigierten „Söhne“2018 wieder gestrichen zugunsten von „uns allen“. Österreich hat „Heimat bist du großer Söhne“2012 geändert in „Heimat großer Töchter und Söhne“. Befriedet ist die Debatte freilich nicht; die rechte FPÖ möchte die Töchter am liebsten wieder loswerden. Anderswo blieben Debatten ergebnislos, etwa in der Schweiz, deren Hymne ein Kirchenlied ist, und in Frankreich – die Marseillaise ist blutrünstig, aber den Franzosen teuer.
Bloßer Anachronismus ist auch noch kein hinreichender Änderungsgrund – zöge man das durch, könnte bald die Mehrzahl der Nationen nur noch summen. Das Kriterium ist ein anderes: Es muss eine mehrheitsfähi-
Eine Nationalhymne ist nicht in erster Linie Kunstwerk, sondern politischer Gebrauchsgegenstand
listin Emily Chang nachgegangen. In ihrem Buch „Brotopia“(bro für „brother“, englisch Bruder) hat sie die Ursachen dafür erforscht, weshalb das Silicon Valley männlich dominiert ist. Das war nämlich nicht immer so. Einst waren es Mathematikerinnen, die dafür sorgten, dass die USA Astronauten sicher ins Weltall schießen konnten. In den Anfängen des Silicon Valley spielten Chang zufolge Frauen eine wichtige Rolle. In den 1960er und 70er Jahren aber herrschte Mangel an Talenten. Zwei Psychologen wurden beauftragt herauszufinden, was einen guten Programmierer ausmacht. Nachdem sie 1200 Männer und 200 Frauen getestet hatten, kamen sie zum Ergebnis: Gute Programmierer mögen keine Menschen. Das war die Geburtsstunde des Nerds. Also jenes blassen Jünglings mit Hornbrille, der auch in Deutschland als Prototyp des fähigen Programmierers gilt. Der Test fand weithin Beachtung. In Wahrheit ist er aber gar kein Beleg dafür, dass unsoziale Menschen die besseren Programmierer sind. Jetzt gibt es Hoffnung: 170 Jahre nach Beginn der industriellen Revolution duldet es die Groko nicht länger, wenn Konzerne für Frauen in Topebenen die Zielgröße „Null“festlegen. Laut Koalitionsvertrag drohen Bußgelder in Millionenhöhe. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de