Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Tauwetter auf dem Eis

Mit den deutschen Eishockey-Helden fieberte bei den Olympische­n Winterspie­len gefühlt die gesamte Republik. Nur zehn Tage später ist der Hype schon fast verflogen. Fünf Gründe, warum der Fußball wieder einmal alles überstrahl­t.

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Es ist gerade einmal zehn Tage her, da hat hierzuland­e eine breitere Öffentlich­keit neue Helden für sich entdeckt. Für Eishockey bei den Olympische­n Winterspie­len sind Millionen Zuschauer mitten in der Nacht aufgestand­en – der Gewinn der Silbermeda­ille in Pyeongchan­g war ein leidenscha­ftliches Plädoyer für die Vielfalt in der deutschen Sportwelt. Also einen stärkeren Fokus der Öffentlich­keit auch für andere Sportarten, neben dem meist alles andere überstrahl­enden Fußball. Doch wie realistisc­h sind solche Wünsche wirklich? Und wie nachhaltig? Fünf Gründe, warum – ungeachtet der aktuellen Euphorie – wohl wieder einmal alles beim Alten bleiben wird. 1. Mediale Präsenz Die TV-Welt ist keine Scheibe, sondern ziemlich rund. Nationaler und internatio­naler Fußball wird an jedem Tag in der Woche live gezeigt. Selbst Pressekonf­erenzen werden mitunter übertragen, als ginge es darin um Verkündung­en von staatspoli­tischem Ausmaß. Eishockey findet dagegen nur in der Nische statt. Dementspre­chend ist es logisch, dass der Zuschauer das konsumiert, was die Fernbedien­ung auf den bekannten Kanälen ihm hergibt. 2. Regionalit­ät Eishockey bekommt vor allem dort Aufmerksam­keit, wo es auch gespielt wird. Und das ist in weiten Teilen des Landes eben nicht der Fall. Mönchengla­dbach hat knapp 260.000 Einwohner und liegt rund 30 Kilometer von Düsseldorf entfernt. In der Stadt gibt es aber keine einzige Eishalle.

Deswegen gibt es auch fast keine intensiver­e Bindung zu einem Verein aus der Deutschen Eishocke Liga (DEL). Düsseldorf­er EG, Krefeld Pinguine oder Kölner Haie – es gibt in einem recht überschaub­aren Radius zwar etliche Alternativ­en. Genutzt werden sie – zumindest gefühlt – vergleichs­weise selten. Und selbst an DEL-Standorten nimmt das Interesse dann rapide ab, wenn das eigene Team nicht mehr in den Play-offs vertreten ist. 3. Faktor Zeit Wie lange bleibt das gute Gefühl, wie lange dauert es, bis sich die aktuelle Begeisteru­ng für Eishockey wieder auf ein Normalmaß einpendelt? Kann sich nach dem langen Sommer ohne Spiele auf dem Eis noch jemand an seine Glücksgefü­hle aus dem vergangene­n Winter erinnern? Immerhin steht die Fußball-Weltmeiste­rschaft in Russland in den Startlöche­rn – ein Großereig-

nis, ganz nach dem Geschmack der stetig wachsenden Fraktion der „Eventies“, also derer, für die der Sport zum reinen Unterhaltu­ngsprodukt geworden ist. Es gibt deutsche Handball-, Hockey- oder Basketball-Helden. Sie alle buhlen um die Gunst des Publikums. Sie alle sind vom Fußball schon an den Rand der Bedeutungs­losigkeit gedrängt worden. 4. Identifika­tionsfigur­en Die meisten Kinder in Deutschlan­d könnte man mitten in der Nacht aufwecken, und sie würden die Namen aller Fußball-Nationalsp­ieler aufsagen können. Gut möglich, dass nach dem Auftritt bei den Olympische­n Spielen in Südkorea auch einige Namen von Eishockey-Spielern bei ihnen hängengebl­ieben sind. Doch im Großen und Ganzen mangelt es bislang noch an deut- schen Identifika­tionsfigur­en. Viel zu viele Vereine nehmen Pofis aus den Niederunge­n des nordamerik­anischen Eishockeys unter Vertrag – und verbauen damit heimischen Talenten eine entspreche­nde Entwicklun­g. Sie konterkari­eren damit auch Bemühungen, Persönlich­keiten aufzubauen, die man dann auch als Stars und Idole vermarkten könnte. 5. Komplexitä­t Fußball kann (fast) jeder spielen. Fußball versteht jeder. Das liegt an einem Grundregel­werk, das in seiner Schlichthe­it jedem vermittelb­ar ist. Eishockey ist dagegen deutlich anspruchsv­oller – und durch die Intensität und Schnelligk­eit am Bildschirm schwerer zu verfolgen.

Fußball kann (fast) überall gespielt werden, für Eishockey ist ein logistisch deutlich größerer Aufwand notwendig, ganz abgesehen von finanziell­en Barrieren. Die Ausrüstung (im Nachwuchsb­ereich wird sie am Anfang oft von den Vereinen gestellt) ist generell um ein Vielfaches teurer.

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