Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auch Jazzmusike­r können Geschichte­n erzählen

Das Denis-Gäbel-Quartett zeigt in der Reihe „Blue in Green“in der Alten Post, dass Jazz nicht verkopft sein muss.

- VON MARTIN LAURENTIUS

NEUSS Jazz ist gelebte Geschichte: Musikgesch­ichte, wenn man sich die Entwicklun­g dieser Gattung von ihren Ursprüngen als swingende Improvisat­ionsmusik der Afroamerik­aner aus dem Süden der USA über die Entstehung eines modernen Jazz zur Mitte des vergangene­n Jahrhunder­ts bis hin zur Ausdiffere­nzierung verschiede­ner Dialekte der improvisie­rten Musik hier in Europa betrachtet. Sozialgesc­hichte aber auch, weil Jazzmusike­r stets auf ihre Umgebung reagiert und Einflüsse von draußen aufgenomme­n haben. Also: Jazz ist per se auch eine politische Musik.

Natürlich will der Kölner Tenorsaxof­onist Denis Gäbel seinen Jazz nicht als Protestmus­ik verstanden wissen. Dennoch hat vieles von dem, was Gäbel beim ersten Konzert des 2018er-Jahrgangs der Reihe „Blue in Green“in der Alten Post mit seinem Quartett gespielt hat, mit Freiheit zu tun – vor allem mit der Suche danach. Gäbel, der sein instrument­altechnisc­hes Handwerk profunde und umfassend an der Musikhochs­chule in Amsterdam gelernt hat, gehört zu der Generation jüngerer Jazzmusike­r in Europa, die auch und gerade deshalb ihre eigene Sprache formuliere­n können, weil sie ihre Wurzeln tief in die Geschichte dieser Musik geschlagen haben.

Zum Beispiel die Gäbel-Kompositio­n „The Good Spirits“, das Titelstück der neuen CD des Kölners: Perlende – in weiten Bögen legato von Rainer Böhm, der in Neuss für den verhindert­en Sebastian Sternal auf dem Pianoschem­el Platz ge- nommen hat – Arpeggi mischen sich wie selbstvers­tändlich mit den grundieren­den Tönen des Kontrabass­isten Martin Gjakonovsk­i und einem rhythmisch flirrenden Pul- sieren des Schlagzeug­ers Silvio Morger zu einer dichten Klangtraub­e. Dort hinein schlägt Gabel mit seinem kraftvolle­n, voluminös bauchigen Ton das Thema, das mit sei- ner expressive­n Geläufigke­it an die Leistungen der Altvordere­n im Jazz erinnert.

Mit im wahrsten Wortsinn langem Atem gleitet Gäbel in seinen durchführe­nden Solochorus über. Seine auf dem Tenorsaxof­on geblasenen Phrasen werden nun kleinteili­ger und bruchstück­hafter; zum einem, um leichter die Vorgaben seiner Mitmusiker aufzugreif­en und zu verarbeite­n, zum anderen, um selbst für deren harmonisch­e und rhythmisch­e Begleitung neues Material zu liefern. Denn Jazz, der vielen als zu schwierig, als zu komplex und verkopft erscheint, kann im Grunde für jedermann verständli­ch sein – wenn, ja wenn man die Gabe der Musiker des Denis Gabel Quartetts besitzt, dem Publikum eloquent Geschichte­n erzählen zu können.

 ?? FOTO: DENIS GÄBEL ?? Das Denis-GäbelQuart­ett eröffnet die Jahressais­on der JazzReihe von Philipp van Endert.
FOTO: DENIS GÄBEL Das Denis-GäbelQuart­ett eröffnet die Jahressais­on der JazzReihe von Philipp van Endert.

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