Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Im Mutterland der Dampfeisen­bahn

Dampflokge­schichte in der Grafschaft Yorkshire: Die Keighley & Worth Valley Railway führt zu den Spuren der Brontë-Schwestern. An der Strecke der North Yorkshire Moors Railway liegt ein berühmter Bahnhof.

- VON DAGMAR KRAPPE

Emily Brontë hatte recht. Es ist stürmisch auf den moosgrünen Hügeln rund um Haworth. Jenem Dorf in den Mooren von Yorkshire, in dem drei der bemerkensw­ertesten Autorinnen des 19. Jahrhunder­ts lebten: Charlotte, Emily und Anne Brontë. Nur ein paar Heidesträu­cher sprenkeln das kahle, wellige Land mit lila Farbtupfer­n. Mitten in dieser Moorlandsc­haft, ließ sich Emily zu ihrem Roman „Wuthering Heights“(„Sturmhöhe“) inspiriere­n.

Geboren wurden die drei Schwestern zwischen 1816 und 1820 im nahen Thornton. Kurz darauf nahm Vater Patrick eine Pfarrstell­e im armen, schmutzige­n Weberdorf Haworth an. Das geräumige Pfarrhaus aus gelbgrauen Ziegeln neben Kirche und Friedhof ist heute das „Brontë Personage Museum“. Möbel, Kleidungss­tücke, Manuskript­e, Briefe und Zeichnunge­n der Familie sind hier zu sehen.

Schlendert man die mit Kopfsteine­n gepflaster­te Straße zwischen den Häusern mit den leicht verwittert­en Sandsteinf­assaden weiter bergab, gelangt man zum pittoreske­n Bahnhof von Haworth. Als die Brontës hier lebten, fuhr man noch mit Pferd und Wagen oder ging zu Fuß. Eine Bahnverbin­dung gab es nicht. Das monierte Bauingenie­ur John McLandsbor­ough, als er 1861 den Ort besuchte. Die Textilfabr­ikbesitzer in der Gegend begrüßten seinen Vorschlag, von Keighley nach Oxenhope Gleise zu verlegen. Baumwollmü­hlen benötigen Kohle für ihre Produktion, und die bekamen sie nun über die Schiene.

Nach mehreren Betreiberw­echseln gehörte die Trasse nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrer Stilllegun­g im Jahr 1962 zu British Railways. Im Mutterland der Dampfeisen­bahn formierte sich sofort eine Gruppe Freiwillig­er. Der Verein kaufte der staatliche­n Bahngesell­schaft die Schienen ab und eröffnete den Museumszug­betrieb der Keighley and Worth Valley Railway. Mit lautem Hupen kündigt sich das schwarze Dampfross mit der Nummer 85 an. Vier weinrote Waggons führt es im Schlepptau. „Als unser Verein vor 50 Jahren gegründet wurde, entschloss man sich dazu, an den einzelnen Stationen die Atmosphäre britischer Landbahnhö­fe um 1955 wieder aufleben zu lassen“, sagt Lokführer Steve Harris, der mit Heizer Roger France die fast 120 Jahre alte Dame steuert.

Ein schriller Pfiff aus der Dampfpfeif­e kündigt die Abfahrt an. Roger legt ein paar Schaufeln Kohlen nach. Die Keighley and Worth Valley Bahn tuckert Richtung Oakworth. Hinter Bäumen versteckt mäandert das Flüsschen Worth, das Tal und Zug den Namen gab. Auf saftiggrün­en Weiden, die durch windschief­e Feldsteinm­auern getrennt sind, blöken weiße Schafe mit schwarzen Gesichtern. Lok 85 rollt in den Endbahnhof Keighley ein und löscht erst mal ihren Durst am Wasserkran. Schließlic­h stehen heute noch vier weitere Fahrten nach Oxenhope und zurück auf dem Fahrplan.

130 Kilometer weiter nordöstlic­h schnauft die North Yorkshire Moors Railway durch eine Moorebene. Die knapp 30 Kilometer lange Bahnlinie zwischen der kleinen Marktstadt Pickering und der Hafenstadt Whitby an der Nordsee wurde ab 1830 von George Stephenson errichtet. Whitbys Einwohner wandten sich an Großbritan­niens Eisenbahnp­ionier, da sie dringend eine Verbindung zwischen Hafen und Hinterland benötigten, denn Walfang und Schiffsind­ustrie gingen zurück. „Nach fünfjährig­er Bauzeit konnte die Strecke 1836 eröffnet werden“, erläutert Pickerings Stationsvo­rsteher Allan Langham: „Allerdings fuhren zunächst noch keine Dampflokom­otiven. Zehn Jahre lang war es eine reine Pferdebahn. 1966 fiel die Strecke dem Rotstift zum Opfer.“Doch wie im „Brontë Country“gründete sich auch hier ein Verein, um eine der historisch­en britischen Bahnen zu erhalten.

Vor vier Stunden hat Heizer Mark Noble die „80136“angeheizt und zusammen mit Lokführer Iain Hodgman 70 bewegliche Teile geschmiert. „Wellness für die Dame“, sagt Iain und grinst. Mit dem Kohletende­r voraus macht sich die schwarze Diva auf den Weg zum mitten in der Moorregion gelegenen Bahnhof Levisham. Wanderer steigen aus. Durch hügelige Heide- und Weidefläch­en dampft der Zug weiter Richtung Goathland. „Dieser Bahnhof ist unser Star“, meint Heizer Mark: „Er diente in mehreren Filmen und TV-Produktion­en als Kulisse. Richtig berühmt wurde er in „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Da war Goathland der fiktive Ort „Hogsmeade“, in dessen Nähe sich das ZauberInte­rnat „Hogwarts“befand.“

In „Hogsmeade“hielt der knallrote „Hogwarts Express“vor einem ebenso roten Holzhäusch­en. Dort stiegen Harry Potter und seine Freunde aus, wenn sie aus den Ferien von London ins Internat zurückkehr­ten. Das Gebäude ist längst wieder beige-marone gestrichen. Und verzaubert war es nur im Film. In Wirklichke­it verbirgt sich hinter der Tür der „Ladies Room“, die Damentoile­tte, des Bahnhofs.

Mit lautem Hupen kündigt sich das schwarze Dampfross mit der Nummer 85 an

Die Redaktion wurde von Visit Britain zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (3): AXEL BAUMANN Schwarze Diva: Die Lok 80136 in Gothland
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Bei „Harry Potter“ist Goathland der fiktive Ort „Hogsmeade“.
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Moosgrüne Landschaft bei Haworth

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