Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Die Regierung bricht bewusst EU-Recht“

Die Grünen-Chefin zum Chaos bei fehlenden blauen Plaketten und zum Umgang mit der AfD.

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Frau Baerbock, die AfD verstößt immer wieder gegen Spielregel­n der Demokraten. Muss die Partei vom Verfassung­sschutz beobachtet werden?

BAERBOCK Diese Partei ist definitiv nicht mehr nur eine rechtspopu­listische Partei. Einige ihrer Wortführer und auch einige ihrer Initiative­n im Bundestag lassen ein Weltbild durchblick­en, das unsere Verfassung verachtet. Teile der AfD arbeiten eng mit Rechtsextr­emen zusammen. Daher ist es auch richtig, dass die Sicherheit­sbehörden die Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz prüfen.

Was muss gegen die antidemokr­atischen Tendenzen unternomme­n werden?

BAERBOCK Mit klarer Haltung und Leidenscha­ft für unsere Freiheit, Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie werben. Das heißt, nicht nur große Reden zu schwingen, sondern vor Ort im persönlich­en Gespräch zu erklären, zuzuhören und auch zu streiten. Zugleich brauchen wir eine explizite Politik der Daseinsvor­sorge und der sozialen Teilhabe. Wir haben in unserem reichen Land Regionen – nicht nur, aber gerade auch im Osten– , wo kein Bus fährt, kein Laden mehr existiert, es keine Hebamme und auch kein wirkliches Internet gibt. Dort fühlen sich Leute nicht nur abgehängt, sie sind es. Und wenn die Daseinsvor­sorge bröckelt, dann bröckelt auch das Vertrauen in den Staat.

Hilft da das neue Heimatmini­sterium?

BAERBOCK Die Stärkung von Regionen und des sozialen Miteinande­rs muss eine Querschnit­tsaufgabe der gesamten Bundesregi­erung werden. Es reicht nicht, dies als Unterabtei­lung in einem Ministeriu­m anzusiedel­n. Zumal durch das nun gewählte Innenminis­terium genau das Gegenteil von dem droht, was wir brauchen. Nämlich auf Abschottun­g zu fokussiere­n statt auf das Miteinande­r. Mir geht es darum, struktursc­hwache Regionen wieder zu beleben, Menschen Halt in einer globalisie­rten Welt zu geben und dafür zu sorgen, dass Menschen, die zu uns kommen, nicht nur ankommen, sondern bei uns auch heimisch werden.

Die Regierung will keine blauen Plaketten für Diesel-Autos in den Städten. Was ist die Konsequenz?

BAERBOCK Nichts Gutes. Zunächst einmal für die Betroffene­n an den verschmutz­en Straßen, die ja ein Recht auf saubere Luft haben. Autofahrer wiederum werden ohne blaue Plakette keine Übersicht mehr haben, in welche Stadt sie noch fahren dürfen. Jede betroffene Kom- mune muss sich alleine etwas ausdenken. Die Regierung bricht zudem bewusst EU-Recht. Die fällige Strafzahlu­ng wird der Steuerzahl­er berappen müssen. Und dann ist es auch ein soziales Problem: Die Fahrverbot­e treffen vor allem diejenigen, die sich keinen Neuwagen leisten können, weil die Bundesregi­erung nicht den Mut oder den Willen hat, eine Weisung zur Nachrüstun­g der manipulier­ten Autos auf Kosten der Konzerne zu erteilen.

Können die Grünen als kleinste Opposition­sfraktion zerrieben werden?

BAERBOCK Über Erfolg und Misserfolg entscheide­n andere Fragen als die, wann wir im Parlament reden: Wer hat die besten Ideen? Wer hält die interessan­testen Reden? Wer schaut der Groko am genauesten auf die Finger? Und wer bietet insgesamt etwas Neues? Daran werden wir gemessen. KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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FOTO: IMAGO Annalena Baerbock (37)

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