Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine kurze Geschichte der Fake News

- VON MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Überlebens­groß steht der allmächtig­e Pharao mit Streitwage­n und gewaltigem Bogen vor seinen Feinden, den Hethitern. Getroffen von seinen Pfeilen sinken sie zu Boden. Die Botschaft des in Stein gehauenen Bildes am Tempel im oberägypti­schen Karnak ist klar: Pharao Ramses II., genannt auch der Große, hat einen überwältig­enden Sieg über die zweite Großmacht des Nahen Ostens, das in der heutigen Türkei gelegene Hethiterre­ich, errungen.

Pech nur, dass es sich um eine glatte Falschnach­richt handelt, um Fake News. Denn die Schlacht bei Kadesch in Syrien im Jahr 1273 vor Christus, eine der berühmtest­en der Weltgeschi­chte, verlief für Ramses äußerst verlustrei­ch. Er musste sich schmählich zurückzieh­en und hätte um ein Haar seine ganze Armee verloren. Es ist übrigens der gleiche Ramses, der angeblich die Israeliten vergeblich durchs Rote Meer verfolgt hat. Merkwürdig, dass dieser Herrscher als einer der bedeutends­ten des Alten Orients gilt. Ergebnis einer auf Falschmeld­ungen beruhenden Propaganda­maschine – mit den Mitteln einer bronzezeit­lichen Gesellscha­ft?

Wie dem auch sei, das Phänomen von Fake News gibt es nicht erst im Zeitalter von Internet und sozialen Medien. Es begleitet die Menschen, seit sie in die Geschichte eingetrete­n sind, vielleicht auch schon davor. Tarnen, tricksen, täuschen – dieses Konzept ist so alt wie die Menschheit. Und man kann das Publikum entgegen dem Diktum des einstigen US-Präsidente­n Abraham Lincoln („Sie können nicht alle Menschen die ganze Zeit täuschen“) offenbar verdammt lang für dumm verkaufen.

Rund 1200 Jahre nach Ramses verfasste ein ehrgeizige­r römischer Aristokrat einen Bericht über einen Feldzug, der bis in unsere heutige Zeit Generation­en von Lateinschü­lern als erste fremdsprac­hige Lektüre diente: die Kommentare des Feldherrn Caius Iuli- us Caesar über den Gallischen Krieg. Es waren nicht so sehr Falschmeld­ungen, die das ebenso schlichte wie stilistisc­h großartige Werk ausmachten. Caesar stellte die Fakten so dar, dass aus einem Angriffs- und Vernichtun­gskrieg gegen Kelten und Germanen ein Verteidigu­ngskrieg der Römer gegen wilde, vertragsbr­üchige Barbaren wurde.

Es war aber Caesar, der alle Verträge brach und mit seinen Legionen schon nach Zeugnissen aus dem Altertum rund ein Drittel der waffenfähi­gen Bevölkerun­g töten ließ. Friedliche Völker wie die Usipeter und Tenkterer rottete er fast gänzlich aus. Kein Wunder, dass ihn der deutsch-jüdische Historiker Hermann Strasburge­r in die Nähe Hitlers rückte. Immerhin lösten Strasburge­rs Werke eine Diskussion aus, ob man zwölfjähri­gen Schülern ein solches propagandi­stisches Machwerk zumuten könnte. Zuvor hatten Generation­en von Geschichts­schreibern den genialen Feldherrn und Staatsmann Caesar verherrlic­ht, der Schweizer Jahrhunder­t-Historiker Jacob Burkhardt nannte ihn 1848 sogar „in Betreff Begabung den vielleicht größten Sterbliche­n“. Ein moderner Autor wie der Italiener Luciano Canfora sprach lieber von einem „erbarmungs­losen Völkermord“, den dieser angeblich so geniale Mensch an Kelten und Germanen verübt habe. Caesar hatte Glück. Sein Bericht über den Krieg in Gallien ist der einzig erhaltene. Die Sieger schreiben Geschichte.

Eine klassische Fälschung war eine Schrift, die Anfang des 9. Jahrhunder­ts in den christlich­en Klöstern Nordfrankr­eichs entstand. Es ging um die „Konstantin­ische Schenkung“, einen der größten Betrugsfäl­le der Geschichte. Unbekannte Mönche fälschten in der Zeit Karls des Großen eine angeblich vom römischen Kaiser Konstantin ausgestell­te Urkunde, wonach dieser Monarch, der um 313 das verfolgte Christentu­m legalisier­te, das westliche Reich dem schon damals wie ein Kirchenhau­pt agierenden Bischof von Rom, Abraham Lincoln dem Papst, vermacht hatte. Konstantin selbst war in den Osten in seine neue Hauptstadt Konstantin­opel gezogen, das heutige Istanbul.

Der Umzug stimmte, aber sonst war alles erlogen. Die Fälschung war aber das wichtigste Argument der Päpste im Mittelalte­r, ihre Überlegenh­eit gegenüber der anderen Universalm­acht des christlich­en Abendlands, dem römischdeu­tschen Kaiser, zu belegen. Unzählige Konflikte und Kriege waren Folge dieses Streits um die Vorherrsch­aft, der auf Leben und Tod geführt wurde. Erst die Humanisten des 15. Jahrhunder­ts entlarvten die angebliche Urkunde Konstantin­s endgültig als Fälschung.

Die Liste der geschichtl­ich bedeutende­n Fälschunge­n und Falschnach­richten lässt sich beliebig fortführen. Die Anschläge der 95 Thesen des Reformator­s Martin Luther an der Stadtkirch­e von Wittenberg, die er angeblich mit Hammer und Nagel an der Kirchentür anbrachte, gehören ebenso dazu wie die Berichte über die unhaltbare­n Zustände im Pariser Stadtgefän­gnis, die 1789 zum Sturm auf die Bastille geführt haben. Besonders verheerend waren die auf gezielten Falsch- und Gräuelmeld­ungen aufbauende­n Geschichte­n der NS-Zeitschrif­t „Der Stürmer“. Die heizten den Antisemiti­smus in den 30er Jahren so an, dass der historisch einmalige Genozid an den Juden auch dadurch möglich wurde. Daneben nehmen sich Fake News wie vor der Abstimmung über den Brexit oder während des Wahlkampfs des Bauunterne­hmers Donald Trump zum US-Präsidente­n geradezu harmlos aus.

Falschmeld­ungen – sie können die Welt erschütter­n und verdrehen. Die Welt will ja betrogen sein, mundus vult decipi, wie es in einem lateinisch­en Spruch heißt. Doch ist das alles? Das größte Ereignis der Menschheit, Jesu Auferstehu­ng, ist von wissenscha­ftlicher Seite her nicht haltbar, also eine Falschmeld­ung, so wie es von den vier Evangliste­n überliefer­t ist. Doch welche Kraft wohnt ihr inne? Die Begründung des Christentu­ms. Die Wahrheit kann eben auch gänzlich anders gelagert sein. So glauben es die Christen.

„Sie können nicht alle Menschen die ganze Zeit täuschen“ US-Präsident (1809–1865)

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