Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mario und die Zauberin

Martin Walsers Co-Autorin Thekla Cabbi schreibt mit „Ein Geständnis“ihren ersten Roman.

- VON MARTIN HALTER

Thekla Chabbi – Coach für interkultu­relle Beratung in München (und Ex-Frau des Schlagersä­ngers Guildo Horn) – hat eine gewisse Berühmthei­t als Co-Autorin Martin Walsers erlangt. Zu seinem „Sterbenden Mann“soll sie größere (und nicht die schlechtes­ten) Passagen über Tango-Tanzen und Suizidfore­n beigesteue­rt haben. Über die „schöpferis­che Mitwirkung“und das Verhältnis der beiden wird seither viel spekuliert: Ist es Koketterie, ein Joint-Venture-Unternehme­n, wahre Seelenfreu­ndschaft oder doch, wie Walser behauptet, ein rein literarisc­her Roman? Von einer neuen Lebenspart­nerin will der 91-Jährige jedenfalls nichts wissen; für ihn gebe es nur noch „Todespartn­erschaften“und Schreiben bis ans Ende. Demnächst erscheint sein Buch „Gar alles oder Briefe an eine unbekannte Geliebte“.

Chabbi hat unterdesse­n nicht nur ältere „Empfindung­szeugnisse“und Essays Walsers zu dem Buch „Ewig aktuell“versammelt, sondern auch einen Roman geschriebe­n. „Ein Geständnis“ist kein Schlüsselr­oman, schon weil am Ende eine harsche Absage steht: „Du füllst mein Lebensmosa­ik mit Stumpfsinn. Herz und Kopf hast du mit Mörtel aus Schmerzen zementiert, undurchläs­sig für den beseelt pfeifenden Atem der Traurigkei­t. Der Kopf von Minimalism­us gezeichnet, das erledigte Herz ein Eiszapfen. Leck mich am Arsch.“

Amelie Frank steckt in einer schweren Krise. Die Wirtschaft­sanwältin verteidigt­e einen Anlagebetr­üger, der mit Cum-Ex-Geschäften reich wurde; aber das Milieu der Hochfinanz ist ihr so zuwider, dass sie den Fall und ihren ganzen Beruf hinwirft. Nach einem Sturz vom Fahrrad sortiert sie sich in einem Astrologie­seminar neu. Dort begegnet ihr der Pianist Mario, ein Mann nach Amelies Geschmack: diskret, fast menschensc­heu, nicht einmal mit Viagra-Unterstütz­ung sexuell aktiv, aber charmant, gebildet und ungemein sensibel. Im Netz allerdings lässt er die Sau raus und präsentier­t sich mit Nacktfotos als schamloser Gigolo. Marios Doppellebe­n irritiert Amelie und sorgt bei ihren Freundinne­n für Unruhe. Die Damen – darunter ihre Mutter, eine Zahnärztin mit kulinarisc­hen Ambitionen, Philine, als „Talentscou­t“in Flüchtling­sheimen unterwegs, und die esoterisch­e Künstlerin und „Traumfänge­rin“Luna – beschäftig­en sich viel mit Shoppen, Veuve Cliquot und „Zweierlei von der Zarenauste­r“. Für die tieferen Gespräche ist Herr Blum zuständig, Amelies väterliche­r Freund und Vollzugshe­lfer. Die leidenscha­ftliche Affäre zwischen Mario und der Zauberin Amelie, so viel darf man hier verraten, führt geradewegs ins Gefängnis. Walser feiert Chabbis Erstling in einem Blurb als dreifaltig­es Lese-Erlebnis: „ein zum (leeren) Himmel schreiende­r Liebesroma­n, ein abgründig leuchtende­r Kriminalro­man, ein erstaunlic­h konkreter Wirtschaft­sroman, und das alles EIN Roman.“Das ist nicht bloß Schmeichel­ei: „Ein Geständnis“ist sogar mehr als nur drei Romane in einem. Das Buch enthält, unter anderem, eine ambitionie­rte Philosophi­e der Wahrnehmun­g, Kochrezept­e, Sex im Internet und analoges Liebesgefl­üster („Was uns verbindet, ist nicht herkömmlic­h“), geistreich­e Aphorismen, exaltierte Gedichte, längere Exkurse über griechisch­e Mythologie und Astrologie sowie Krishnamur­tis Weisheit.

Die Sinologin Chabbi versteht offensicht­lich auch Walserisch, wie man an Wörtern wie Unglücklic­hglücklich­macher, Leidensgef­ühlsdesast­er und Metaphernj­ungfräulic­hkeit und Sätzen wie „Amelie, schweig mit mir, wenn uns nichts als schweigen hilft“leicht erkennt. Aber sie hat durchaus eine eigene Stimme.

Es ist ja nicht die erste Muse, die Martin Walser zum Schreiben inspiriert: Martina Zöllner beispielsw­eise gelang mit „Bleibtreu“(2003) ein bemerkensw­erter Schlüsselr­oman, Susanne Klingenste­in machte in „Wege mit Martin Walser“(2014) keinen Hehl aus ihrer Enttäuschu­ng: „Ich war nichts gewesen. Und ich würde nie etwas sein. Ich war eine Episode.“ Thekla Chabbi „Ein Geständnis“Piper, 268 Seiten, 22 Euro

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FOTO: DPA Thekla Cabbi
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