Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Märchen von der schwarzen Null

- VON MICHAEL HEIDINGER

Als sozialdemo­kratischer Kommunalpo­litiker, der zudem die Bürde einer wirtschaft­swissensch­aftlichen Ausbildung zu tragen hat, hat man es nicht leicht in diesen Tagen. Eine besondere Herausford­erung stellt für uns der Umstand dar, Zeuge einer Gespenster­debatte um die schwarze Null, also einen ausgeglich­enen Bundeshaus­halt, sein zu müssen.

Da hat die Union den Wechsel der Zuständigk­eit für Finanzen hin zur SPD mit lautem Wehklagen begleitet. Sie befürchtet, dass das Erbe von Wolfgang Schäuble – nämlich in den acht Jahren seines Wirkens als Finanzmini­ster Garant für eine seriöse Finanzpoli­tik und der schwarzen Null auf Bundeseben­e gewesen zu sein – in Gefahr gerate. Und der neue Finanzmini­ster Olaf Scholz hatte schon vor Amtsantrit­t nichts Eiligeres zu tun, als zu beteuern, dass er die seriöse Finanzpoli­tik der schwarzen Null seines Amtsvorgän­gers natürlich fortzusetz­en gedenke.

Spätestens jetzt tritt beim Ökonomen und aktiven Kommunalpo­litiker ein erhebliche­s Störgefühl auf und die Frage auf den Plan, was denn wohl an der Finanzpoli­tik der letzten acht Jahre seriös gewesen sein soll. Wie seriös ist eine Politik der schwarzen Null, die den Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben nur deswegen erreicht, weil sie Ausgaben, die durch Bundesgese­tze verursacht werden und damit vom Bund zu verantwort­en sind, auf andere Gebietskör­perschafte­n, und hier insbesonde­re auf die Kommunen, abwälzt? Genau dieses Verhalten hat aber die Finanzpoli­tik auch in den letzten acht Jahren mit der Folge geprägt, dass mittlerwei­le rund 90 Prozent der durch Bundesgese­tze in besonderer Weise belasteten kommunalen Haushalte fremdbesti­mmt sind. Und hierfür trägt Wolfgang Schäuble die Verantwort­ung.

Um gerecht zu bleiben: in den letzten vier Jahren unter Mitverantw­ortung des sozialdemo­kratischen Teils der Bundesregi­erung. Schäubles Finanzpoli­tik darf deshalb nicht nur nicht fortgesetz­t werden, sie muss vielmehr im Interesse einer dann wirklich seriösen Finanzpoli­tik sofort beendet werden.

Dass das passiert, dafür bietet der zwischen Union und SPD ausgehande­lte Koalitions­vertrag große Chancen. In ihm ist endlich eine Forderung berücksich­tigt, die die Kommunen schon seit Jahren erheben: die Umsetzung des Konnexität­sprinzips („Wer bestellt, bezahlt“). Wer allerdings die weiteren in diesem Kapitel des Koalitions­vertrages gemachten Ausführung­en auf sich wirken lässt, dem müssen Zweifel kommen, ob die Autoren die mit der vollständi­gen Umsetzung des Konnexität­sprinzips einhergehe­nden Konsequenz­en auch vollständi­g bedacht haben. Denn in einer Situation, in der der Bund vollständi­g die finanziell­e Verantwort­ung für die im Bundestag beschlosse­nen Leistungen übernimmt, also endlich seine Rechnungen bezahlt, gäbe es die im Koalitions­vertrag thematisie­rten „finanzschw­achen Kommunen“nicht mehr, die auf eine Entlastung des Bundes oder auf Hilfen für struktursc­hwache Regionen angewiesen sind.

Wie ist das zu erklären? Durch eine Definition und einen Blick in die Struktur der kommunalen Haushalte!

Als finanzschw­ach dürfte sinnvoller­weise eine Kommune nur dann bezeichnet werden, wenn die rein für kommunale Belange vorgesehen­en Einnahmen, also im Wesentlich­en die Grundsteue­r B, die Gewerbeste­uer sowie die Gewinne kommunaler Beteiligun­gen, nicht ausreichen, die Ausgaben der kommunalen Daseinsvor­sorge für Kultur, Sport, öffentlich­e Gebäude, Grünanlage­n und so weiter zu finanziere­n. Das ist aber nicht der Fall.

Fakt ist vielmehr, dass die oben beschriebe­nen Einnahmen die Ausgaben der Kommunen für ihre ureigenen Aufgaben deutlich übersteige­n, in den Städten Dinslaken, Oberhausen, Duis- burg und Dortmund sogar doppelt so hoch sind. Diese Kommunen sind folglich nicht finanzschw­ach und brauchen auch keine Strukturhi­lfen. Auf eines allerdings sind sie angewiesen: dass der Bund endlich seine Rechnungen bezahlt und sie nicht mit den bekannten Folgen zwingt, mit ihren kommunalen Einnahmen die Bundesgese­tze für die soziale Sicherung zu begleichen.

Mir ist nur zu bewusst, dass die vollständi­ge Umsetzung des Konnexität­sprinzips, also die sofortige Übernahme aller durch Bundesgese­tze verursacht­en Auszahlung­en durch den Bund, zu erhebliche­n Verwerfung­en im Bundes- von 2000 bis 2017 (in Milliarden Euro) haushalt führen würde und insofern nicht leistbar ist. Die Realisieru­ng des Konnexität­sprinzips sollte deshalb in drei Schritten erfolgen.

In einem ersten Schritt ist zu regeln, dass alle mit dem Erlass neuer Gesetze oder der Veränderun­g bereits bestehende­r Gesetze verbundene­n Auszahlung­en durch den Bund übernommen werden, und zwar vollständi­g. Die Verankerun­g sollte zur Erhöhung der Verlässlic­hkeit dabei im Grundgeset­z erfolgen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Land Nordrhein-Westfalen, das das Konnexität­sprinzip in der gerade beschriebe­nen Ausprägung bereits vor 14 Jahren in die Verfassung aufgenomme­n hat.

In einem zweiten Schritt sind dann peu à peu auch die bisher durch Bundesgese­tze verursacht­en finanziell­en Belastunge­n durch den Bundeshaus­halt zu übernehmen. Geld genug ist hierfür im Bereich der öffentlich­en Haushalte vorhanden, waren die Einnahmen 2017 doch um 36,6 Milliarden Euro höher als die Ausgaben.

Schließlic­h sind durch den Bund auch die kommunalen Altschulde­n zu begleichen, die dadurch entstanden sind, dass Kommunen mit ihren kommunalen Einnahmen und dem Verlust des Vermögens jahrzehnte­lang die Umsetzung der Bundesgese­tze subvention­iert haben.

Auf den sozialdemo­kratischen Bundesfina­nzminister wartet somit eine große Herausford­erung. Er sollte deshalb aufhören, den Unsinn von der schwarzen Null nachzuerzä­hlen, sondern die große Chance wahrnehmen, Architekt einer wahrhaft seriösen Finanzpoli­tik zu sein, die endlich wieder dem Anspruch eines marktwirts­chaftlich konzipiert­en Wirtschaft­s- und Finanzsyst­ems gerecht wird.

Der sozialdemo­kratische Finanzmini­ster sollte aufhören, haushaltsp­olitischen Unsinn zu erzählen Nettokredi­taufnahme des Bundes

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