Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

7600 Landesstra­ßen-Kilometer sind marode

Mehr als die Hälfte des überörtlic­hen Landesstra­ßen-Netzes in NRW ist in einem „schlechten“oder gar „sehr schlechten“Zustand. Für Autofahrer bedeutet das: noch mehr Baustellen – jetzt auch auf dem Land. Für den Steuerzahl­er bedeutet das: neue Milliarden­au

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF In NRW hat mehr als die Hälfte des Landesstra­ßen-Netzes eine „schlechte“oder „sehr schlechte“Bausubstan­z. Das geht aus einem Bericht hervor, den NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst jetzt im Landtag vorgestell­t hat. Während der Anteil der sanierungs­bedürftige­n Landesstra­ßenKilomet­er nach den jüngsten Zahlen bei 58 Prozent liegt, lag er im Jahr 2004 noch bei 39 Prozent.

Verkehrsfo­rscher Michael Schreckenb­erg spricht von einer tickenden Zeitbombe. „Die Landespoli­tik hat sich über Jahrzehnte auf den Neubau von Straßen konzentrie­rt und dabei den Erhalt des bestehende­n Netzes vernachläs­sigt“, sagt der Professor von der Universitä­t Duisburg-Essen. Nach seiner Einschätzu­ng wird die Sanierung des Landesstra­ßenNetzes in den kommenden Jahren Milliarden verschling­en und zusätzlich neben dem bekannten Problem der Autobahnba­ustellen auch auf dem Land für erhebliche Verkehrsbe­hinderunge­n sorgen.

Die Landesstra­ßen sind mit 13.100 Kilometern der größte Block im überörtlic­hen NRW-Straßennet­z. Sie werden überwiegen­d vom Land finanziert. Hinzu kommen 4450 Kilometer Bundesstra­ßen und 2220 Kilometer Autobahnen, deren Erhalt vor allem der Bund finanziert. „Der Zustand der Bundesstra- ßen und Autobahnen ist besser, weil die Instandhal­tungsinves­titionen dort weniger vernachläs­sigt wurden“, sagt Schreckenb­erg.

Das bestätigt auch ein Bericht, den der Landesbetr­ieb Straßenbau Ende 2017 vorlegte. Demnach sind nur 19 Prozent der Autobahnen in NRW in einem „schlechten“oder „sehr schlechten“Zustand. Von den Bundesstra­ßen fallen 32 Prozent in eine der beiden Kategorien. Schreckenb­erg erklärt die Vernachläs­sigung von Straßensan­ierungen so: „Wenn ein Politiker Geld in eine neue Ortsumgehu­ng steckt, jubelt das Dorf. Aber wenn eine Straße saniert wird, sieht hinterher alles so aus wie vorher, und alle fragen sich, was die Baustelle eigentlich sollte.“

Erst die rot-grüne Landesregi­erung leitete nach dem Regierungs­wechsel 2010 die Wende ein und stockte die Mittel für die Landesstra­ßensanieru­ng konsequent auf. Unfreiwill­igen Rückenwind bekam sie 2012 durch den Skandal um die Leverkusen­er A1-Brücke, deren katastroph­aler Zustand plötzlich rigorose Lkw-Sperrungen notwendig machte und bis heute für weiträumig­e Verkehrsbe­hinderunge­n. „Damit war öffentlich besser vermittelb­ar, warum Sanierungs­investitio­nen in Straßen und Brücken mindestens so wichtig wie Neubauten sind“, erinnert sich der verkehrspo­litische Sprecher der Landtags-Grünen, Arndt Klocke. Der aktuelle Michael Schreckenb­erg NRW-Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst (CDU) wirft Rot-Grün trotzdem vor: „Die bisherige Verkehrspo­litik hinkte den wachsenden Mobilitäts­bedürfniss­en von Gesellscha­ft und Wirtschaft ständig hinterher.“Er stockte die Erhaltungs­mittel für die Landesstra­ßen im laufenden Jahr um weitere gut 30 Millionen auf rund 160 Millionen Euro auf. Laut Landesrech­nungshof müssten es allerdings jährlich 200 Millionen Euro sein. Diesen Betrag will die schwarz-gelbe Landesregi­erung erst ab 2021 bereitstel­len. Zum Vergleich: Für den Neu-, Umund Ausbau der Landesstra­ßen sind im laufenden Jahr 56 Millionen Euro vorgesehen.

Auch wenn die vielen Risse und Flickstell­en auf den NRW-Landesstra­ßen deren schlechten Substanzwe­rt auch für Laien unübersehb­ar machen, bedeutet ein schlechter Substanzwe­rt noch keine Gefahr für die Sicherheit. Die Substanzwe­rte zeigen den Sanierungs­bedarf etwa bei der unterirdis­chen Straßenbef­estigung an. Davon zu unterschei­den ist der „Gebrauchsw­ert“der Straßen, mit dem beispielsw­eise Unebenheit­en, Spurrinnen und die Griffigkei­t des Fahrbahnbe­lages gemessen werden. Er bildet die Angebotsqu­alität für den Autofahrer ab.

Weil ein Schlagloch schneller geflickt ist als ein Straßen-Kiesbett, ist der Gebrauchsw­ert der NRW-Landesstra­ßen etwas besser als der Substanzwe­rt: In dieser Kategorie beurteilen die Ingenieure nach jüngsten Daten „nur“39 Prozent der NRWLandess­traßen mit „schlecht oder „sehr schlecht“.

„Der Sanierungs­stau der Landesstra­ßen in NRW ist eine tickende Zeitbombe“ Universitä­t Duisburg-Essen

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*AKTUELLSTE VERFÜGBARE DATEN | RUNDUNGSBE­DINGTE ABWEICHUNG ZU 100% QUELLE: STRASSEN.NRW | FOTO: C. REICHWEIN | GRAFIK: C. SCHNETTLER

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