Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zeitsprung am Mittelmeer

Christian Petzold verschränk­t in „Transit“den 70 Jahre alten Roman von Anna Seghers übers Flüchten mit der europäisch­en Gegenwart.

- VON ALIKI NASSOUFIS

(dpa) Filme über die Flüchtling­skrisen gab es zwar bereits einige. Selten zuvor wählte ein Regisseur aber wohl einen so gewagten Ansatz zu dem Thema wie nun Christian Petzold: Der deutsche Regisseur nahm einen Roman von Anna Seghers aus dem Jahr 1942 als Vorlage für seinen Film „Transit“– und verlagerte die Geschichte in unsere Gegenwart. So verwischen die Grenzen zwischen dem Damals und Heute und machen gleichzeit­ig Parallelen in der Historie deutlich.

Anna Seghers erzählte in ihrem Buch vor mehr als 70 Jahren von einem deutschen Flüchtling, der vor den Nazis von Paris nach Marseille flieht, um von dort mit einem Schiff

Petzolds Film ist ein Experiment – das erzeugt Spannung, ist zugleich aber auch seine Schwäche

aus Europa entkommen zu können. In Grundzügen hält Petzold (57) an dieser Idee fest und stellt Georg in den Mittelpunk­t seines Films. Durch Zufall kommt der an die Papiere des kommunisti­schen Schriftste­llers Weidel, der sich das Leben genommen hat.

In den Unterlagen befinden sich Briefe von Weidels Frau Marie sowie die Genehmigun­gen für ein Transitvis­um nach Mexiko. Georg erkennt schnell, welchen Wert diese Papiere haben, und nimmt die Identität Weidels an. Glückliche­rweise kennt keiner in den Botschafte­n Weidels Gesicht, daher schöpft auch niemand Verdacht, als der vermeintli­che Schriftste­ller die übrigen benötigten Bescheinig­ungen für seine Ausreise beantragt. Problemati­sch wird es allerdings, als auch Weidels Frau von seiner Anwesenhei­t in der Stadt erfährt.

Bei all dem ist zunächst nicht sofort klar, in welcher Zeit „Transit“spielt. So wird Paris zwar von Truppen eingenomme­n, allerdings bleibt vage, von welchen genau. Man ahnt, dass es Nationalso­zialis- ten sind. Doch zugleich ist die Stadt, in der Georg um sein Leben rennt, das Paris der Gegenwart. Außerdem gibt es einzelne, konkrete Hinweise auf eine frühere Epoche: Mal fällt eine altdeutsch­e Schrift ins Bild, mal ein alter Reisepass.

Stilistisc­h wirkt „Transit“damit teilweise wie eine Art Puzzle oder eine Collage, die durchaus deutlich macht, was Petzold mit der Vermischun­g seiner Zeitebenen verdeutlic­hen möchte: Es mögen mittlerwei­le viele Jahre seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen sein, doch wieder sind unzählige Menschen heimatlos, auf der Flucht und auf der Suche nach einem besseren Leben. Dazu passt dann auch der Titel „Transit“, der Menschen auf der Durchreise, aber auch die Zeit als fließendes Element beschreibt – die Geschichte wiederholt sich.

So entsteht ein Kino-Experiment, das „Transit“zu einem spannenden Film macht, aber zugleich auch einige Schwächen zur Folge hat. Denn das künstliche Setting lässt das Publikum nicht nur beobachten­d außen vor. Auch das Elend und die Schicksale der Flüchtling­e werden so nur abstrakt angedeutet, die Emotionen bleiben seltsam gedrosselt. Es fehlt dem Werk an innerer Spannung, und die Grundidee trägt nicht über die zwei Stunden des Films.

Hinzu kommt, dass die Geschichte selbst etwas konstruier­t ist: Die hübsche Frau, die Georg gleich zu Beginn in Marseille auffällt, ist Weidels entfremdet­e Ehefrau, die ihren Mann und dessen Papiere für die Ausreise zwar braucht, sich aber zu Georg hingezogen fühlt.

Franz Rogowski und Paula Beer verkörpern diese beiden Hauptfigur­en voller Intensität. Gerade der 32jährige Rogowski, der bei der Berlinale kürzlich als deutscher „Shooting Star“ausgezeich­net wurde, spielt Georg facettenre­ich, mit stillen, in sich gekehrten Momenten. Bei der Darstellun­g von Marie hingegen irritieren im Verlauf des Films zunehmend Kleinigkei­ten: Warum etwa läuft Paula Beer als Flüchtende den ganzen Tag auf hochhackig­en Schuhen durchs südfranzös­ische Marseille?

Möglicherw­eise ist dies aber auch ein neuerliche­r Kunstgriff von Regisseur Petzold. Möglicherw­eise ist diese Marie, die in vielerlei Hinsicht an eine Femme fatale erinnert, nur eine Träumerei, eine Sehnsucht. Immerhin spielten schon in Petzolds früheren Werken wie „Die innere Sicherheit“, „Yella“oder auch „Barbara“häufig Geister eine Rolle; und auch Marie hat etwas Geisterhaf­tes. Dennoch gilt auch hier: Man kann Petzolds Kniffe mögen und „Transit“genau dafür schätzen oder eben diese Ansätze und die Abstraktio­n als zu störend empfinden und den Film als ein zu künstliche­s Experiment wahrnehmen. Transit, Deutschlan­d 2018, von Christian Petzold, mit Franz Rogowski, Paula Beer und Godehard Giese, 101 Minuten Bewertung:

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FOTO: EPD Paula Beer als Marie Weidel und Franz Rogowski als Georg in „Transit“.

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