Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Jetzt malt Helge Achenbach selbst

Der wegen Betrugs verurteilt­e frühere Düsseldorf­er Kunstberat­er kommt voraussich­tlich bereits im Juni frei. Danach beginnt – so oder so – ein neues Leben. Sein Alter passt dazu: Am Dienstag wird er 66 Jahre alt.

- VON HANS ONKELBACH

DÜSSELDORF Vor sieben Jahren, im Jahr 2011 und kurz vor seinem 60. Geburtstag, ist die Welt des Helge Achenbach noch in Ordnung. In seinem legendären Restaurant „Monkey’s West“nahe der Düsseldorf­er Königsalle­e hatte er zu einem Dinner gebeten. Unter den Gästen sind Künstler, Wirtschaft­sleute, Journalist­en, Sammler und auch ein Teil der Schickimic­ki-Gesellscha­ft – entzückt, eingeladen zu sein. Man lässt sich von der Küchencrew verwöhnen und äugt verstohlen auf das Ehepaar Babette und Berthold Albrecht, denn die beiden sieht man extrem selten. Den Aldi-Eigner hatte Achenbach vier Jahre zuvor erstmals getroffen. Anfangs war man nur interessie­rt aneinander, im Laufe der Zeit wurde daraus nicht nur Freundscha­ft, sondern eine Geschäftsb­eziehung, in der man zig Millionen in Kunst und alten Autos umsetzte. Udo Jürgens, Deutschlan­ds populärste­r Barde, hat sein Jackett ausgezogen, sitzt im weißen Hemd mit offenem Kragen ohne Krawatte am Piano, singt einige seiner berühmtest­en Stücke, nimmt ab und zu einen Schluck Rotwein und beweist seine Klasse als Sänger und Musiker. Kann sein, dass er auch den Evergreen „Mit 66 fängt das Leben erst an“zum Besten gab. Ob der Spruch stimmt – Helge Achenbach wird es nun erfahren. Am Dienstag wird er 66.

Damals ahnt niemand, wie radikal sich die Welt des Helge Achenbach bald verändern wird. 2012 stirbt Berthold Albrecht, 2014 verklagt seine Witwe den angebliche­n Freund Helge Achenbach. Der wird verhaftet, steht vor Gericht und kassiert im Januar 2015 vom Landgerich­t Essen sechs Jahre Haft. Das Gericht ist überzeugt, dass Achenbach Albrecht betrogen und um viele Millionen Euro geprellt hat. Achenbach räumt ein, in neun Fällen die Rechnungen gefälscht zu haben. Er spricht von Collagen.

Nun, im Frühjahr 2018, hat er bald zwei Drittel seiner Strafe abgesessen. Seit einigen Monaten ist er im Offenen Vollzug der Justizvoll­zugsanstal­t Moers, arbeitet tagsüber bei der Diakonie-Tochter Renatec in Düsseldorf-Eller und muss nur abends in seine Zelle. Seine Freiheit ist groß, aber nicht grenzenlos. Die Chance, frei zu kommen, ist hoch – Achenbach hat seine Tat gestanden, Reue gezeigt, sich in der Haft tadellos verhalten und war Ersttäter. Nor- malerweise kommen solche Leute nach zwei Dritteln der Strafe frei. Normalerwe­ise. Garantiert ist das nicht. Bei ihm wäre es Anfang Juni.

Eine der Bedingunge­n: Kein Kontakt zu Journalist­en. Dazu ist Achenbach, der früher ein Liebling der Medien war (und das genoss!), schriftlic­h streng verdonnert worden. Er hat sich daran gehalten. Daher gibt es auch jetzt keine Stellungna­hme von ihm zu seinem Leben in Freiheit.

Aber wie geht es jetzt weiter? Ehemalige Mithäftlin­ge aus der JVA Essen berichten, Achenbach habe es dort nach kurzer Zeit geschafft, in der Knast-Hierarchie weit nach oben zu kommen – mit Charme und Klugheit. Er sang im Gefangenen­Chor, besuchte den Mal-Kursus einer Essener Künstlerin, hielt Vorträge über Kunstgesch­ichte und erzählte den Knackis von Rembrandt, Michelange­lo und da Vinci.

Seinen Job im Offenen Vollzug nutzte er ebenfalls für eine Reihe von Aktivitäte­n. Er organisier­te eine Sportgrupp­e unter jungen Flüchtling­en, die die Renatec betreut, verschafft­e einigen jungen Leuten Lehrstelle­n oder andere Unterstütz­ung. Und er begann, sich auf die Zeit nach der Haft vorzuberei­ten. Er fühle sich geläutert, sei mit wenig zufrieden und freue sich darauf, verfolgten Künstlern helfen zu können, heißt es aus dem Kreis jener Leute, die Kontakt zu ihm haben.

Ein Vorsitzend­er Richter des Landgerich­ts Kleve (für ihn zuständig, weil die JVA Moers zu diesem Bereich gehört) bescheinig­te Achenbach eine verblüffen­de Wandlung und lobte den Mann in den höchsten Tönen. Vor allem aber stellte der Jurist fest, der frühere Kunstberat­er sei durch die völlige Vernichtun­g seiner Existenz mehr als ausreichen­d bestraft und ließ durchblick­en, die Höhe der verhängten Strafe nicht nachvollzi­ehen zu können.

Ganz anders sah das die Staatsanwa­ltschaft Essen – dem Ort, an dem er angeklagt und verurteilt wurde: Die beantragte Weihnachts­amnestie Ende 2017 wurde deshalb am Ende vom Oberlandes­gericht Düsseldorf, das zu entscheide­n hatte, abgelehnt. Dessen Richter begründete­n das auch damit, dass Achenbach beim Düsseldorf-Marathon 2017 den Eindruck erweckt habe, die ganze Distanz gelaufen zu sein. Was der Veranstalt­er bestritt: Achenbach habe mit seiner Sportgrupp­e aus Flüchtling­en nur einen Lauf in Etappen angekündig­t.

Der Mann, der früher die teuersten Künstler der Welt an reiche Sammler vermittelt­e, wird sich künftig um noch unbekannte Maler oder Bildhauer kümmern. Ein Freund, selbst Kunstsamml­er, will im Rahmen einer Stiftung namens „Kultur ohne Grenzen“gemeinsam mit Achenbach Frauen und Männer unterstütz­en, die aus ihrer Heimat flüchten mussten und hier auf ihre Chance hoffen. Unter anderem Syrer, Iraker und Türken.

Für die Stiftung wurde ein Bauernhof an der Stadtgrenz­e zu Düsseldorf für zehn Jahre gepachtet und umgebaut, damit dort künftig Künstler leben und arbeiten können. Achenbach soll sich als Mitarbeite­r der Stiftung um sie kümmern. Den Umbau plant Achenbach-Freund und Star-Architekt David Chipperfie­ld. Außerdem malt Achenbach selbst und will das auch künftig tun. Zudem bekommt er Hilfe durch den Kölner Enthüllung­sjournalis­ten Günter Wallraff, den Achenbach kennt. Nach seiner Freilassun­g wird Achenbach bei ihm wohnen und offiziell gemeldet sein.

Ähnlich wie der frühere ArcandorCh­ef Thomas Middelhoff, den Achenbach im Knast in Essen kennenlern­te, will auch er ein Buch über sein Leben herausbrin­gen. Anders als Middelhoff will Achenbach aber keine Justizsche­lte betreiben, heißt es. Sondern nur erzählen lassen, wie er wurde, was er am Ende war, und wie es dazu kam, dass er Berthold Albrecht betrog. Das Buch wird im Sommer herauskomm­en.

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FOTO: PRIVAT Der ehemalige Kunstberat­er will nach seiner Entlassung für eine Stiftung noch unbekannte Künstler betreuen und fördern.

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