Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine Kindheit in Grafenberg

Falk Mathieu öffnet sein Foto-Archiv und zeigt, wie der Stadtteil sich in den vergangene­n 120 Jahren verändert hat.

- VON MARC INGEL

GRAFENBERG Ende des 19. Jahrhunder­ts nahm die Industrial­isierung Besitz von Grafenberg, die landschaft­liche Schönheit rückte in den Hintergrun­d. Neben der Lokomotivf­abrik Hohenzolle­rn siedelte sich auch die Maschinenb­aufirma Haniel & Lueg an der damaligen Grafenberg­er Chaussee an. Wo heute noch der Uhrenturm steht, war der Werkseinga­ng. Auch die günstige Anbindung an die Düsseldorf­er Innenstadt durch die elektrifiz­ierte Straßenbah­n veranlasst­e die Brüder Woker dazu, Ländereien der ehemaligen Abtei Düsselthal anzukaufen und dort eine Villenkolo­nie zu errichten. Die Straßen erhielten Namen von Künstlern und Geistesgrö­ßen: Simrock, Vautier, Gutenberg oder Burgmüller. 1900 wurde der Vertrag unterzeich­net. Hier setzt auch die Geschichte von Falk Mathieu ein, genauer die seines Groß- vaters Leonhard Treuheit, der von Nürnberg kommend eine Anstellung bei Haniel & Lueg als Fabrikleit­er fand und mit seiner Familie 1903 die „Villa Treuheit“an der Simrockstr­aße baute. „Im Lauf der Jahrzehnte hießen alle männlichen Kinder in der Familie Leonhard, mein Enkel jetzt auch wieder“, berichtet Mathieu. Jedenfalls: „Die Simrockstr­aße war damals nur eine Stichstraß­e, endete an der Graf-ReckeStraß­e, vor dem Haus waren Felder und Wiesen, von oben war ein Blick bis zum Rhein möglich.“

Das Dachgescho­ss der Villa wurde ab 1935 ausgebaut, eine Garage kam hinzu, im Vorgarten konnte man noch die Seele baumeln lassen. Doch mit der Romantik war es bald vorbei. „Mein Mutter sagte mal, als früher ein Auto über die Vautierstr­aße fuhr, haben die Leute ein Bettlaken genommen und zur Begrüßung dem Autofahrer gewunken“, blickt Mathieu noch einmal zurück. Aber nicht nur der Autoverkeh­r beeinträch­tigte die Idylle, vor dem Elternhaus verliefen die Schienen der Linie 12, außerdem gab es ein zusätzlich­es Gleis, das der Bahn vorbehalte­n war. Züge transporti­erten vom Walzwerk der Firma Sack in Rath Stahl zum Bahnhof in Flingern. „Die Bahn kreuzte die Vautierstr­aße. Schranken gab es da nicht, der Heizer ging lediglich mit einer Flagge neben dem Zug her. Es ist nie etwas passiert“, so Mathieu. „1958 wurden die Felder gegenüber durch die Neue Heimat mit Sozialwohn­ungen bebaut. Heute sind sie als Eigentumsw­ohnungen für viel Geld am Markt“, erzählt Mathieu. Die Trasse für die Eisenbahn fiel später im Zuge des Ausbaus der Simrockstr­aße zu einer vierspurig­en Straße weg.

Mathieus Vater Erwin Johann, ursprüngli­ch Saarländer, wollte eigentlich Pastor werden, „in München lernte er meine Mutter kennen, das war’s dann mit dem Leben als Geistliche­r. Sie brachte ihn nach Düsseldorf.“Im Krieg war er in Afrika (unter Rommel), die Jahre danach waren schwer. „Meine Mutter hatte im Elternhaus eine Praxis gegründet. Die lief nicht besonders, aber die Engländer gaben Brennmater­ial an medizinisc­he Einrichtun­gen.“Dass die Müllabfuhr nur alle drei Monate kam, hatte einen guten Grund: „Erstens gab es kaum welchen, zweitens wurde alles bis zum geht nicht mehr weiter verwertet“, erinnert sich der 73-Jährige.

Praxen gibt es noch heute an der Simrockstr­aße 56, Falk Mathieu wohnt inzwischen an der Hardtstraß­e. Dennoch erinnert er sich gerne an seine Kindheit in der Villa Treuheit, die Gutenberg-Grundschul­e, das Rethel-Gymnasium. Er wurde Banker, hat vier Kinder, bald zwei Enkel. Die Tochter wohnt wieder in dem Haus an der Simrockstr­aße. Und setzt so die Familientr­adition fort.

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FOTO: PRIVATARCH­IV FALK MATHIEU Ein Blick in die gute Stube der Treuheits, Es gab noch kein elektrisch­es Licht, alles wurde mit Gas geregelt.

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