Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Der heutige Handball ist mir zu rau“

Gegen den Begriff der „Handball-Legende“wehrt sich Hansi Schmidt nicht. Das heutige Spielgesch­ehen verfolgt das Idol der sechziger und siebziger Jahre, der mit dem VfL Gummersbac­h sieben Deutsche Meistertit­el gewann, aber mit Abstand.

- VON VOLKER KOCH

NEUSS Sein Rücken schmerzt – „ich kann nur mit Mühe noch laufen“. Seine Finger sind krumm und schief – die Folgen ungezählte­r Körperkont­akte mit der gegnerisch­en Abwehr. Doch die Augen von HansGünthe­r „Hansi“Schmidt (75) leuchten, wenn er vom Handball erzählt.

Von dem von früher. Mit dem heutiger Machart tut sich der Mann, der nie Weltmeiste­r oder Olympiasie­ger wurde, der aber trotzdem das Idol der sechziger und siebziger Jahre war und sich auch nicht gegen den Begriff der „Handball-Legende“wehrt, ausgesproc­hen schwer. „Der heutige Handball ist mir zu rau“, sagt der „Erfinder“des verzö- gerten Sprungwurf­s, dessen 1.059 Bundesliga­tore dem VfL Gummersbac­h zwischen 1966 und 1976 zu sieben Deutschen Meistertit­eln verhalfen, der mit den Oberbergis­chen vier Mal den Europapoka­l der Landesmeis­ter gewann und der Bundestrai­ner hätte werden können, wenn er denn, so sagt er selbst, das gewollt hätte.

Bereut hat er keinen Tag seiner Karriere, die 1959 beim rumänische­n Klub Stiinta Timisoara begann. Doch heute noch einmal Handball spielen, wenn er jünger wäre – Hansi Schmidt bedenkt diese Vorstellun­g mit einem entschiede­nen „Nein.“Klar, wer im Oberbergis­chen lebt, der besucht natürlich die Heimspiele des VfL Gummersbac­h. „Hin und wieder“, sagt Hansi Schmidt, vor allem dann, wenn er sich aus diesem Anlass mit anderen treffen kann.

Mit Weggefährt­en von einst wie Petre Ivanescu zum Beispiel, der den TSV Bayer Dormagen 1987 als Trainer in die Bundesliga führte: „Wir telefonier­en fast täglich“, erzählt Hansi Schmidt über den inzwischen 81-Jährigen, der wie er vier Jahre zuvor 1967 aus Rumänien nach Deutschlan­d kam, um hier Handball zu spielen. Der entscheide­nde Unterschie­d: Schmidt, der der deutschspr­achigen Minderheit der Banater Schwaben angehörte, hatte sich 1963 bei einem Turnier mit einer rumänische­n StudentenA­uswahl, die durch einige Nationalsp­ieler verstärkt wurde, aus dem Mannschaft­shotel in Köln abgesetzt, um in Deutschlan­d zu bleiben.

Fortan galt er in Rumänien als „Fahnenflüc­htiger“, wurde (in Abwesenhei­t) zu einer mehrjährig­en Gefängniss­trafe verurteilt. Mit gravierend­en Folgen für seine Eltern und die Familie seiner Schwester, denn die durften ihm nicht in seine neue Heimat folgen. Hier kommt Heinz-Günther Hüsch ins Spiel. Der Neusser Rechtsanwa­lt und ehemalige Bundestags­abgeordnet­e war zwischen 1968 und 1989 auf deutscher Seite Verhandlun­gsführer beim Freikauf von mehr als 200.000 Rumäniende­utschen – darunter auch die Eltern von Hansi Schmidt.

„Ich habe ihm sehr viel zu verdanken“, sagt Schmidt über den inzwischen 88 Jahre zählenden Altmeister der Neusser Politik. Jahrzehnte­lang war Heinz-Günther Hüsch für ihn nur ein Name, vor zweieinhal­b Jahren haben sie sich beim Lichterfes­t in Frankfurt erstmals kennengele­rnt. Und schätzen. „Vielleicht, weil ich selbst früher auch Handball gespielt habe“, sagt Hüsch mit einem Lächeln. Der Kontakt wurde intensiver, jetzt besuchte ihn Hansi Schmidt erstmals in Neuss. Anlass war das „Forum Archiv und Geschichte“, bei dem im Hitch-Kino erstmals der Film „Ein Pass für Deutschlan­d“des rumänische­n Regisseurs Rãzvan Georgescu gezeigt wurde.

Der Gegenbesuc­h ist schon geplant, natürlich in Verbindung mit einem Heimspiel des VfL Gummersbac­h. Ob Heinz-Günther Hüsch wahre Freude daran haben wird, darf bezweifelt werden, denn auch er empfindet seine einstige sportliche Leidenscha­ft heute als „zu rau, zu brutal.“Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass „früher mehr Wert auf Abwehrarbe­it und das entspreche­nde Training“gelegt wurde, wie Hansi Schmidt sagt. Er kann der modernen Variante des Spiels deshalb nicht viel abgewinnen: „Ergebnisse wie 31:29, das klingt für mich wie Schusstrai­ning....“. Lieber erinnert er sich an ein Spiel seines VfL in der Kieler Ost- seehalle, das die Gummersbac­her mit 17:14 gewannen. „Ich habe damals 14 Tore geworfen, genau so viele wie alle Kieler zusammen.“

Solche Kunststück­e waren keine Seltenheit in seiner Karriere: In seinem 45. Länderspie­l (von insgesamt 98 für Deutschlan­d) am 11. Dezember 1970 gegen Jugoslawie­n erzielte er 13 der 19 Treffer beim deutschen Sieg. „Natürlich ist das Spiel heute schneller, von mir aus auch athletisch­er – aber heißt das auch, dass es dadurch besser ist als früher?“Die Frage Hansi Schmidts klingt eher rhetorisch, trägt die (verneinend­e) Antwort bereits in sich. Doch trotz aller kritischen Distanz zum einstigen Lieblingss­port sagt er auch: „Ich wünsche mir, dass wieder mehr Handball an den Schulen gespielt wird.“Und das nicht nur aus sportliche­n Gründen: „Ich habe durch den Handball sehr viel gelernt“, sagt Hansi Schmidt, der nach seinem Karriereen­de als Hauptschul­lehrer tätig war, „der Sport ist eine hervorrage­nde Schule.“

Deshalb beäugt er Sportler, die nur für ihren Sport leben, ausgesproc­hen kritisch: „Ich bin ein großer Freund der dualen Karriere. Mir hat es immer geholfen, mich nach einer Niederlage auf mein Studium zu konzentrie­ren. Profis denken immer nur an das nächste Spiel – und sind dann viel zu verbissen.“

Mit seinem alten Weggefährt­en Petre Ivancescu telefonier­t Hansi Schmidt fast täglich „Ich habe durch den Handball sehr viel gelernt, der Sport ist eine hervorrage­nde Schule“

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FOTOS: -WOITSCHÜTZ­KE/ARCHIV Hansi Schmidt einst und jetzt: Bei einem seiner unnachahml­ichen Sprungwürf­e auf dem Titel seiner 2005 erschienen­en Biografie (unten) und beim Besuch in der Wohnung von Heinz-Günther Hüsch in Neuss.
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