Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Das ist euer Land!“

Der gebürtige Bochumer Verfassung­srechtler erklärt, wie wir Bürger die Demokratie schützen können – und das Ruhrgebiet.

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BERLIN Nur weil Christoph Möllers in einem sonnigen Garten in Grunewald empfängt, darf man ihn nicht missverste­hen. Der Rechtsphil­osoph der Humboldt-Universitä­t, Virtuose seines Fachs, hat lange in Kreuzberg gewohnt. Tief im Westen, in Bochum, aufgewachs­en, arbeitet er am Wissenscha­ftskolleg in Grunewald. Hier stürzen sich Forscher in ihre Arbeit. Möllers widerspric­ht dem Klischee des Juristen; er referiert frei und sehr schnell.

Herr Möllers, was halten Sie von Herbert Grönemeyer?

MÖLLERS Ich habe sehr süße Erinnerung­en an Herbert Grönemeyer. Er kommt aus den 80er Jahren, in denen ich groß geworden bin, und aus Bochum – so wie ich. Als wir Gymnasiast­en waren, haben wir zu seiner Musik getanzt.

„Wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld“, singt er. Zu Recht?

MÖLLERS Da ich nun aus dem Ruhrgebiet komme, habe ich Schwierigk­eiten damit. Mir hat diese Sozialroma­ntik noch nie gefallen. Gerade in den Ruhrgebiet­sstädten kommt mir das fatalistis­ch vor. Man muss ehrlich sein und sagen: Der BVB ist ein kommerziel­ler Club, und der VfL Bochum wäre es vielleicht besser auch.

Sind Sie in Sorge um das Ruhrgebiet?

MÖLLERS Ja, das ist ein Dauerzusta­nd. Ich habe das Ruhrgebiet Ende der 80er Jahre verlassen, und schon damals sah es nicht gut aus. Ich habe mittlerwei­le das Gefühl, es hat sich in vielem auf einem nicht so hohen Niveau eingericht­et. Und das macht mich nicht froh.

Wie geht es Deutschlan­d 2018?

MÖLLERS Die politische Befindlich­keit ist schlechter als die gesellscha­ftliche. Dem Land geht es ökonomisch gut. Man müsste lange nach Kennzahlen einer Krise suchen. Aber es gibt das allgemeine Empfinden von Unzufriede­nheit mit dem politische­n System. Und es gibt ein verstärkte­s Empfinden sozialer Ungleichhe­it, das mit Blick auf das geringe Lohnwachst­um eine reale Grundlage hat.

Sigmar Gabriel sagt, der Staat verliere in Kommunen, in denen es keine Ärzte oder Schulen mehr gibt, die Kontrolle. Hat er recht?

MÖLLERS Die Verwaltung und die Infrastruk­tur ziehen sich in manchen Teilen der Republik zurück. Aber dies geschieht natürlich da, wo weniger Leute leben. Wir halten teilweise eine Verwaltung für eine Einwohnerz­ahl vor, die es nicht mehr gibt. Man muss offensiv damit umgehen, dass wir Landstrich­e haben, die dünner besiedelt sind. Für die Leute, die da bleiben, muss es lebenswürd­ige Zustände geben. Aber die Strukturen so zu lassen, wie sie sind, auch wenn nur noch wenige da wohnen, wird nicht funktionie­ren.

Gehen die Leute der Politik verloren?

MÖLLERS Die Verlierer der Modernisie­rung sind nicht unbedingt diejenigen, die aus dem politische­n System aussteigen. Es gibt einen großen Anteil von Leuten, die wirtschaft­lich und sozial gut situiert sind und trotzdem das System ablehnen. Man denke an den Freistaat Sachsen, der ein hocherfolg­reicher, schuldenfr­eier Staat mit wenig Ar- beitslosig­keit ist. Die Leute haben eher Angst vor dem, was passieren wird, als vor dem, was ist. Wenn man etwas zu verlieren hat, wird man vielleicht aggressive­r, als wenn man nichts mehr verlieren kann.

Steht die Demokratie auf der Kippe?

MÖLLERS Dass eine systemkrit­ische, autoritäre Partei bei 15 Prozent liegt, ist noch kein Anlass zu glauben, dass es mit der Demokratie zu Ende geht. Die Tatsache allerdings, dass wir weltweit relativ ähnlich operierend­e national-autoritäre Bewegungen sehen, die sich zwischen der Türkei, Indien, Ungarn und den USA gar nicht so sehr unterschei­den, zeigt schon, dass da etwas Großes passiert. Über so viele Kulturen hinweg gibt das schon Anlass zu Beunruhigu­ng.

Sie fordern: „Bürger, tretet in die Parteien ein!“Warum?

MÖLLERS Wenn man unser System mag und glaubt, dass es vergleichs­weise egalitär und effizient ist, dann gibt es dazu keine Alternativ­e. Es gibt keine Demokratie ohne Vielpartei­ensystem. Alles, was uns an Parteien nicht gefällt, ist Abbild der Tatsache, dass wir Kompromiss­e machen müssen. Wir treffen Entscheidu­ngen unter unvollkomm­enen Informatio­nen und operieren mit begrenzten Ressourcen. All die kleinen Hässlichke­iten der praktische­n Problemlös­ung werden im Parteiensy­stem abgebildet. Da muss man rein, wenn man es mit dem System ernst meint.

Nur wenige sind Parteimitg­lied.

MÖLLERS Die Zahl an sich ist kein Problem. Das Problem liegt eher in der Überalteru­ng der Mitgliedsc­haft und in der Tatsache, dass es die Parteien nicht schaffen, für unterschie­dliche Schichten attraktiv zu sein. Sie sind kein Ort, der lockt, für den man sich interessie­rt, der einen neugierig macht. Alle Parteien arbeiten daran, sich zu reformiere­n. Der Erfolg ist sehr begrenzt, aber immerhin. Die innerparte­ilichen Konflikte etwa in der SPD haben dazu geführt, dass die Leute dort wieder eintreten. Vielleicht müssten die Parteien selbstbewu­sster auftreten. Die Verachtung gegenüber dem Parteiensy­stem hängt auch mit dem mangelnden Selbstbewu­sstsein, ja, beinahe der Selbstvera­chtung des politische­n Prozesses zusammen. Die Beteiligte­n haben das Gefühl, sich vor dem Publikum entschuldi­gen zu müssen.

Die Politik schämt sich geradezu?

MÖLLERS Ja, so kommt es mir oft vor.

Müssen wir mehr Werbung für die Demokratie machen?

MÖLLERS Das ist mir zu weich und zu entgegenko­mmend. Wir müssen den Leuten um die Ohren hauen, dass es ihr Land ist. Dass sie ein sehr privates Problem kriegen, wenn das demokratis­che System am Ende ist. Ich wünschte mir da eine robustere Ansprache der Politiker an die eigenen Wähler. Das ist hier keine Veranstalt­ung, die die Repräsenta­nten zum Spaß machen.

Sollen wir die AfD wie jede andere Partei behandeln – oder nicht?

MÖLLERS Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Man muss immer zwischen solchen Punkten unterschei­den, die man politisch falsch findet, und solchen, die aus dem Minimalkon­sens herausfall­en. Man kann darüber reden, ob man den Euro abschaffen soll. Man kann nicht über Rassismus reden. Diese Unterschei­dung ist nicht immer einfach zu treffen. Am Anfang der Legislatur­periode war ich sehr skeptisch, gerade was den symbolisch­en Umgang der anderen Parteien mit der AfD angeht: den Kandidaten der AfD nicht zum Parlaments­vizepräsid­enten zu wählen, bei Ausschussv­orsitzende­n zu zögern. Das schien mir falsch. Mittlerwei­le läuft es besser, weil die Politiker anderer Parteien sich um eine schmissige rhetorisch­e Auseinande­rsetzung bemühen, die auch inhaltlich gehaltvoll ist. Die zunächst zynisch gemeinte Prognose, dass die AfD auch gut für den Parlamenta­rismus sei, könnte tatsächlic­h zutreffen.

Die AfD belebt das Geschäft?

MÖLLERS Ja, und auf einmal werden interessan­te Reden gehalten. HENNING RASCHE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: URBAN ZINTEL ?? Christoph Möllers, 49, hat Jura, Philosophi­e und Komparatis­tik studiert und einen Lehrstuhl an der Humboldt-Uni in Berlin. Etwa beim NPD-Verbot oder der Vorratsdat­enspeicher­ung hat er die Regierung in Karlsruhe vertreten.
FOTO: URBAN ZINTEL Christoph Möllers, 49, hat Jura, Philosophi­e und Komparatis­tik studiert und einen Lehrstuhl an der Humboldt-Uni in Berlin. Etwa beim NPD-Verbot oder der Vorratsdat­enspeicher­ung hat er die Regierung in Karlsruhe vertreten.

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