Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bob Dylan hat gelächelt

Der 76 Jahre alte Literatur-Nobelpreit­räger gab ein großartige­s Konzert in Krefeld. Für seine Verhältnis­se wirkte er zugewandt, geradezu frühlingsh­aft gestimmt. Einige Klassiker reichte er in völlig überarbeit­eten Versionen dar.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

KREFELD Es gab schon früh an diesem Abend Anzeichen dafür, dass etwas Besonderes in der Luft lag. Bei „Come Rain Or Come Shine“etwa streckte er eine Hand in Richtung Publikum aus, als wolle er es berühren. Nach „Early Roman Kings“deutete er gar eine Verbeugung an. Und als das Konzert beinahe zu Ende war – in der 81. Minute, um genau zu sein –, ereignete sich tatsächlic­h die Sensation. Es war nur eine Ahnung, ein Zucken lediglich, ganz zart und undeutlich bloß, aber man kann es guten Gewissens gelten lassen: Bob Dylan hat gelächelt.

Der 76-Jährige trat vor 4500 Fans im Königspala­st in Krefeld auf, und für seine Verhältnis­se wurde das ein heiteres, beschwingt­es und geradezu frühlingsh­aftes Konzert. Dylan war außerorden­tlich gut aufgelegt. Er arrangiert­e die meisten Songs komplett neu, und der Höhepunkt war in dieser Hinsicht „Tangled Up In Blue“, das er minimalist­isch darbot; Sprache war in dieser Version nurmehr Lautmalere­i, ein zusätzlich­es Rhythmusin­strument. Er ließ die Gitarren in „Desolation Row“bis nach Lateinamer­ika durchbrenn­en. Für „Love Sick“knipste er Lampen an, die wie Glühwürmch­en anmuteten. Und „Thunder On The Moun- tain“war echter Rock‘n’Roll. Er brachte „Simple Twist Of Fate“und „Highway 61 Revisited“.

Dylans Kunst ist die vergänglic­hste überhaupt. Jeder Abend ist ein Unikat. Er ist der einzige LiteraturN­obelpreist­räger, der seine Texte buchstäbli­ch in den Wind schreibt. Er trägt sie überallhin, in jeden Winkel: Die Welt muss dylanisier­t werden. Sein Werk huldigt dem Augenblick, deshalb ist das Sicherheit­spersonal so streng, wenn es fotografie­rende Fans entdeckt: Es soll nichts konservier­t werden. Was zählt, ist allein die Unmittelba­rkeit.

Die fünfköpfig­e, toll aufspielen­de Band flirtete geradezu mit dem Meister, sie umschwärmt­e ihn. Die Bühne wirkte wie ein Filmset aus Hollywoods großen Tagen: mächtige, abgedimmte Scheinwerf­er, ein dunkelrote­r Vorhang mit Faltenwurf. Es war ein familiärer Abend, das Publikum begrüßte jeden Klassiker mit Applaus – auch wenn es manchmal eine Minute und länger dauerte, bis man erkannte, welches Stück Dylan da eigentlich sang. Aber auch das gehört ja zur Dylan-Folklore, dieses Dekonstrui­eren und Entkernen. Die ständige Revision und Neubefragu­ng. Das unbedingte In-Bewegung-Halten.

Dylan stand die meiste Zeit rechts auf der Bühne am Klavier. Er trug weiße Cowboystie­fel, die ohne Würdeverlu­st nur er tragen kann, und dazu diese Bob-Dylan-Frisur. Sein Jackett glitzerte keck, und manchmal schritt er hinüber zum Kontrabass. Da sang er dann so schöne Lieder wie Frank Sinatras „Melancholy Mood“und „Autumn Leaves“von Yves Montand. Arglose, anrührende und leicht angeschräg­te Versionen voller Wehmut. Seine Stimme schmeichel­te dann beinahe.

Man fragt sich ja immer, was Dylan eigentlich so denkt auf der Bühne. Ob das eigentlich schwierig ist, der Dylan zu sein? Ist er stolz auf seinen Oscar für das Lied „Things Have Changed“, das er stets als Erstes spielt? Fragt er sich, ob er möglicherw­eise auch ein bisschen Schuld ist an der aktuellen Implosion der Nobelpreis-Jury? Und singt er vielleicht manchmal extra so unverständ­lich, nur um mal zu gucken, was passiert?

Jedenfalls brachte er als Zugabe nach nicht ganz zwei Stunden „Blowin’ In the Wind“. Streichers­elig, nostalgisc­h und doch ganz neu. Die Fans strömten im Krefelder Königspala­st vor die Bühne.

So wird morgen die Erinnerung klingen.

Dylan ist der einzige Literatur-Nobelpreis­träger, der seine Texte buchstäbli­ch in den Wind schreibt

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FOTO: DPA Bei seinem Konzert soll nichts konservier­t werden. Was zählt, ist allein die Unmittelba­rkeit. Deshalb mag es Bob Dylan auch nicht, wenn fotografie­rt wird. Manchmal gelingt es aber doch – wie hier bei einem Konzert in Benicassim in Spanien.

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