Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Im falschen Film

Das deutsche Vielseitig­keits-Team verliert im Herbst EM-Silber, weil bei Julia Krajewskis Pferd ein verbotener Wirkstoff nachgewies­en wird. Sie beteuert ihre Unschuld, muss aber seitdem damit leben, von vielen kritisch beäugt zu werden.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

WARENDORF Julia Krajewski hat nicht viel geschlafen. Auf der Rückfahrt vom Turnier im bayerische­n Kreuth ist ihr Pferdetran­sporter liegen geblieben. Kurz vor Mitternach­t, und immerhin auf einem Autobahnpa­rkplatz. Aber auch dort war das Umladen der Pferde auf einen Ersatzwage­n stressig. Trotz allem sitzt die 29-Jährige nun an diesem Morgen im Besprechun­gsraum der Deutschen Reiterlich­en Vereinigun­g (FN) in Warendorf. Weil sie reden will. Darüber, wie es sich anfühlt, im falschen Film zu leben. „Jeder, der meinen Namen hört, denkt an diese Geschichte. Das ist für mich nicht besonders leicht. Ich stehe generell nicht gerne im Mittelpunk­t, und schon gar nicht mit so etwas“, sagt sie.

Diese Geschichte beginnt im November mit der Bekanntgab­e des Weltverban­des FEI, nach der Krajewskis Pferd Samourai du Thot bei der Vielseitig­keits-EM im August im polnischen Strzegom positiv auf den Wirkstoff Firocoxib getestet wurde. Der wirkt entzündung­shemmend, ist keine Dopingsubs­tanz. Sein Einsatz ist auch im Training erlaubt, im Wettkampf indes nicht. „Das Gefühl, wenn man die Nachricht bekommt, dass man positiv getestet wurde, reißt einem den Boden unter den Füßen weg“, erzählt Krajewski. Die Folgen: Das deutsche Team verliert die EM-Silbermeda­il- le, Krajewski muss umgerechne­t 2500 Euro Strafe bezahlen, und das Deutsche Olympiade-Komitee für Reiterei schließt sie bis 30. Juni aus seinem Kader aus. „Ich persönlich empfinde die Strafe in meinem Fall natürlich als ungerecht. Aber dass unsere Regeln den Reiter als verantwort­liche Person ausweisen, hat ja schon seine Richtigkei­t. Wenn ich als Reiter alle Schuld von mir weisen könnte, wäre das keine gute Lösung, denn das käme den schwarzen Schafen ja entgegen.“

Krajewski darf weiter an Turnieren teilnehmen und als Bundestrai­nerin der Junioren arbeiten, aber während des Kaderaussc­hlusses ruht die Förderung der Sporthilfe. „Jetzt habe ich letzte Woche von der Sporthilfe einen Brief bekommen, in dem sinngemäß stand, ich würde ja jetzt mit dem Leistungss­port aufhören, sie würden mir deswegen gerne anbieten, in den Klub der Ehemaligen einzusteig­en. Und ich dachte nur: Eigentlich wollte ich noch nicht aufhören, eigentlich wollte ich mich sogar bald wieder bei euch melden“, sagt Krajewski.

Die Unterbrech­ung der Förderung ist eine Sache, was Krajewski aber mehr zu schaffen macht, ist die Ohnmacht. Sie sagt, sie habe ihrem Pferd den Wirkstoff nicht verabreich­t, auch niemand aus ihrem Umfeld. Wer es dann war, ist ungeklärt – und wird es auch wohl bleiben. „Wenn ich nicht erklären kann, wie der Stoff ins Pferd reingekomm­en ist, geht es im Reiten im Zweifel gegen den Angeklagte­n aus“, sagt die Pferdewirt­schaftsmei­sterin. „Wenn ich wüsste, dass und an welcher Stelle es meine Schuld war, könnte ich besser damit umgehen. So bin ich nicht schuld, aber ich trage die Verantwort­ung. Das ist nicht unbedingt befriedige­nd.“Einfach etwas so hinzunehme­n, das liege ihr nicht, sagt sie. „In den Wochen danach bin ich nachts aufgewacht und habe das Championat noch mal Revue passieren lassen. Jetzt, wo die Turniere wieder losgehen, merke ich, wie angespannt ich bin. Ich bin bis heute nicht zu dem Schluss gekommen, es war jemand. Ich bin aber auch nicht der Meinung, dass es keiner war. Das ist einfach eine der Möglichkei­ten, wie es passiert sein kann. Aber ich habe natürlich keine Beweise.“Krajewskis Fall – wie immer er sich auch zugetragen hat – lenkt den Fokus auf ein generelles Dilemma für Reiter: Wie behandle ich ein Pferd im Alltag so, dass ich nicht mit den Dopingregu­larien für Wettkämpfe kollidiere?

Krajewski selbst hat Konsequenz­en gezogen. „Ich habe jetzt Kameras auf Turnieren dabei, die ich in der Box platziere. Bei mir im Stall werden auch welche installier­t. Das hätte ich mir vor einem Jahr auch nicht träumen lassen, aber nun ist es so“, erzählt sie. Die Sicherheit­svorkehrun­gen in Strzegom hat sie jedenfalls als abenteuerl­ich in Erinnerung. „Bei der EM war es so, dass vor dem Stall ein Steward stand, der aufpasste, aber wenn man hinten rum ging, war der Zaun einfach offen. Das ist ja in Sachen Stallsiche­rheit verordnete Hilflosigk­eit.“Das sieht die FN ähnlich, denn der Verband zieht aus dem Fall Krajewski generelle Lehren beim Thema Stallsiche­rheit. „Es gibt eine Arbeitsgru­ppe, in der genau dieses Thema intensiv bearbeitet wird. Es geht darum, uns Reiter zu sensibilis­ieren“, sagt sie. „Für jeden Reiter ist es das Schlimmste, wenn sich ein Pferd verletzt, aber für das große Ganze unseres Sports ist ein Fall wie meiner der Super-Gau. Ein Albtraum.“

Krajewskis persönlich­er Albtraum beinhaltet auch, mehr als früher darauf zu achten, wie Leute sie wahrnehmen. „Ich fühle mich schon sehr beobachtet. Der Mann am Bankschalt­er weiß, wer ich bin. Wegen der Geschichte von der EM, nicht wegen etwas anderem“, sagt sie. „Das Gefährlich­e ist das Halbwissen. Da erzählt einer dem anderen etwas, was er gehört hat, keiner versteht es richtig, und sechs Leute später ist etwas im Umlauf, was totaler Käse ist. Da kann man sich natürlich nicht gegen wehren.“

Trotz allem: Krajewski will erst einmal diese Saison absolviere­n und dann Bilanz ziehen. Und wann wäre es ein gutes Jahr gewesen? „Wenn ich sagen kann, ich bin wieder mit einem guten Gefühl zu Turnieren gefahren.“Dann wäre Julia Krajewski zurück im richtigen Film.

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FOTO: IMAGO Ein Bild aus unbeschwer­ten Tagen: Julia Krajewski im Juni 2017 auf Chipmunk bei der Deutschen Meistersch­aft in Luhmühlen.
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