Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Zwischen Folklore und Toten Hosen
Früher transportierten die Flößer aus Wolfratshausen Waren, heute Touristen. Über Loisach und Isar treiben die Flöße bis nach München – zur Gaudi der Gäste.
Stamm um Stamm klatscht ins Wasser und wird von den Männern zu einem Floß zusammengebaut. So machen es die Flößer von Wolfratshausen heute, und so war es schon immer. 19 Tonnen bringt die schwimmende Insel am Ende auf die Waage. Wer das Tag für Tag macht, bei dem sitzt jeder Handgriff. „Fitnessstudio? Das brauchen wir nicht, hier ist unsere Muckibude“, sagen die beiden Flößer Jason Charles und Michelle Scollo.
Charles und Scollo arbeiten für Josef Seitner. Der ist 70 Jahre alt und Flößermeister in der vierten Generation, seit 1860 besteht der kleine Familienbetrieb. Zwischen dem 1. Mai und Mitte September bietet er täglich Floßfahrten für Touris- ten an. Im Tölzer Land gehört er zu den Letzten einer traditionsreichen Zunft, deren Geschichte bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht. „Im Testament der Grafen von Wolfratshausen wird das Zollrecht zu Wasser erwähnt. Das ist wohl der erste dokumentierte Hinweis auf die Flößerei im bayerischen Oberland“, erläutert Martin Melf beim Rundgang durch die Sonderschau zur Flößerei im örtlichen Heimatmuseum. Der 49-Jährige hat sich intensiv mit der Vergangenheit des Berufsstandes befasst.
Geschichte und viele Geschichten erfahren Besucher auch beim Rundgang auf dem Wolfratshausener Flößerpfad, drei Kilometer links und rechts entlang der Loisach, vorbei an den Floßländen und dem historischen Kastenmühlwehr.
Tuche und Kalk, Marmor und Möbel schafften die Männer während wochenlanger Fahrten nach München, Passau und auf der Donau bis Wien und Budapest. Den Heimweg traten die Flößer oft zu Fuß an. Eine gefährliche Reise, denn so manches Mal lauerten ihnen Räuber auf – und weg war ihr Lohn.
Rund 300 Fahrten kommen für Meister Seitner und seine 18 Mitarbeiter heute während der Sommermonate zusammen: Freundescliquen, Burschenvereine, Feuerwehren, Sängerkreise, Skatclubs, Stars und Sternchen – viele und vieles hat Seitner schon erlebt. So manche Tour sei geradezu ein schwimmendes kleines Oktoberfest gewesen. Eine Riesengaudi, wie sie in Bayern sagen, mit deftiger Brotzeit und mit Bier, sehr viel Bier.
Natürlich auch mit zünftiger Musik, die von Wigg Heislmeier und seinen Kollegen kommt. „Floßcombo“nennt sich das Quartett um den 77 Jahre alten, quirligen Landshuter. Von bayerischen Heimatklängen bis zu den Toten Hosen spielen die Vier so ziemlich alles, was die Gäste zum Mitsingen und Tanzen auf den schwankenden Brettern animiert. Keinesfalls fehlen darf das Flößerlied mit den Zeilen: „Fahrn ma auf Minga mit an Floß, des geht vui schneller wia mi’m Ross...“