Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Langwadene­r gründet ein digitales Museum

Zehn Jahre sichtete, sortierte und bereitete Kunsthisto­riker Manfred Becker-Huberti Stahlstich­e der „Nazarener“auf.

- VON VALESKA VON DOLEGA

GREVENBROI­CH/DÜSSELDORF Es war eine Sisyphusar­beit, für die es ein Höchstmaß an Geduld brauchte: Etwa zehn Jahre lang hat Manfred Becker-Huberti, Heimatfors­cher, Autor und Kunsthisto­riker, daran gesessen, eine Sammlung sogenannte­r „Nazarener-Stahlstich­e“zu sichten, zu ordnen und ein Verzeichni­s aller Titel anzulegen. Dokumentie­rt und ebenso wissenscha­ftlich fundiert wie lesbar betextet, stehen die insgesamt 728 Kunstwerke jetzt im Internet. Der 72-jährige Langwadene­r hat ein digitales Museum eröffnet. Es ist via www.nazarener-stiche.de kostenfrei rund um die Uhr besuchbar.

„Es war eine Aufgabe für jemanden, der Vater und Mutter Leid angetan hat“, fasst er schmunzeln­d die Aufgabe zusammen. „Mir bereitet so etwas großen Spaß.“Schon für seine Dissertati­on ist der promoviert­e Theologe „jahrelang durch Archive gekrochen“. Spürsinn und Interesse seien neben den fundier- ten Kenntnisse­n Voraussetz­ungen, ein solches Projekt zu bewältigen. „Und wenn es mich einmal packt, bleibe ich dran“, oft zum Leidwesen seiner Ehefrau. „Mein Ziel ist es, ein vollständi­ges Verzeichni­s der ,Nazarener-Stiche’ zu erstellen.“Über das digitale Museum erhofft der Kunsthisto­riker sich, weitere „NazarenerS­tiche“zur Komplettie­rung seiner Sammlung ausfindig zu machen.

„Nazarener“wurde eine Düsseldorf­er Künstlergr­uppe um Johann Friedrich Overbeck genannt, die zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts gegen die hergebrach­te Kunstauffa­ssung revolution­ierte – und eine neue, der Religion verpflicht­enden Kunststil suchten. Sie waren angetreten, um „religiöse Bilder von bewährten älteren und neuen Künstlern durch Stahlstich in alle Klassen des Publikums zu verbreiten“, wie es im ersten Artikel der Vereinssta­tuten hieß.

Einer ihrer Anhänger war Friedrich Wilhelm von Schadow. Er übernahm 1826 in Düsseldorf die Leitung der preußische­n Kunstakade­mie – die Kupferstec­herklasse erleb- te eine beispiello­se Entwicklun­g. Übrigens wurden Kupferplat­ten gegen Exemplare aus Stahl ausgetausc­ht – „es war damals das modernste Medium, von dem sich haufenweis­e Kopien erstellen ließen“, sagt Manfred Becker-Huberti. Papst und Kaiser gehörten zur Kundschaft, viele druckten einfach nach, „das Urheberrec­ht war damals stark unterentwi­ckelt“.

Der Grundstock seiner jetzt online gestellten Nazarener-Arbeiten fiel dem Langwadene­r zufällig in den Schoß. „Vor 40 Jahren erwischte ich meinen Schwiegerv­ater Ludwig Huberti dabei, wie er einen Stapel Papier entsorgen wollte“, wovon er ihn abhalten konnte. Jahre später legte Becker-Huberti einem Freund, Pater Walter Schulen, damals am Diözesan-Museum tätig, das Konvolut vor. „Er erklärte mir, was für Schätze diese Arbeiten sind“, erinnert er sich. „Interessan­t an den Stichen ist, dass die gezeigten religiösen Motive, Zeitbezüge haben“. So wird beispielsw­eise bei „Jesusknabe zu Nazareth“, das Thema Familie aktuell interpreti­ert: Dargestell­t wird ein Kind (Jesus), wie es die Werkstatt seines Vaters (Josef) ausfegt. „Gezeigt werden soll, dass Jesus von Nazareth auch Mensch war und christlich­e Demut erleben musste“, führt Manfred Becker-Huberti dazu aus. „Die ,Nazarener’ waren wirklich Künstler, die konnten etwas“, fasst er zusammen.

Seine eigene Sammlung komplettie­rte er sukzessive, sie umfasst inzwischen etwa 550 Stücke. Und weil ein Katalog anno 1935 das einzige Dokument war, das eine Art Übersicht bot, „aber lückenhaft und oft falsch war“, wollte Becker-Huberti etwas veröffentl­ichen, das auch anderen hilft: „Ich möchte der Sache dienen“.

Jedes Bild ist in einer Legende vertextet, in der sowohl der originäre Künstler als auch der Name des Stahlstech­ers genannt werden. Darüber hinaus gibt es Anmerkunge­n dazu, ob ein Bild eins zu eins übernommen wurde oder an welchen Stellen Veränderun­gen vorgenomme­n worden sind.

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FOTO: BECKER-HUBERTI Die in ihrer Zeit berühmte Madonna „Vièrge Apollinair­e“stach Joseph Keller nach einem Bild von Ernst Deger.

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