Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

5000EuroSt­rafe pro Diesel-Auto

Das Verkehrsmi­nisterium hätte härter gegen die Autoherste­ller vorgehen können.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Am 22. Juni 2016 landet um 16.22 Uhr eine E-Mail im Posteingan­g des Bundesverk­ehrsminist­eriums. Eine Anwältin aus Düsseldorf erkundigt sich, ob nach deutschem Recht bei Verwendung sogenannte­r Abschaltei­nrichtunge­n Bußgelder verhängt werden können. Mit solchen Abschaltei­nrichtunge­n sorgen die Auto-Hersteller dafür, dass mehr schädliche Abgase beim Fahren ausgestoße­n werden als eigentlich vorgesehen. Unter bestimmten Voraussetz­ungen ist das zwar erlaubt – aber der Rahmen ist eng gesteckt. Und mit jedem weiteren Monat, der nach dem Auffliegen des Abgasskand­als bei Volkswagen verging, wurde klarer, wie großzügig auch andere Hersteller die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen ausgelegt hatten.

Die Frage ist heikel, denn die Antwort bringt die Bundesregi­erung in Verlegenhe­it. Während in den USA Milliarden­Strafen gegen Volkswagen verhängt wurden, schonte die Bundesregi­erung ihre wichtigste Industrie und forderte lediglich vergleichs­weise preiswerte Software-Updates.

Wie also damit umgehen? Das Fachrefera­t im Bundesverk­ehrsminist­erium entscheide­t sich laut einem Bericht des Bayerische­n Rundfunks für die ehrliche Variante. In der Antwort heißt es daher unter anderem, dass es bei Verstößen gegen entspreche­nde rechtliche Regelungen auch Möglichkei­ten der staatliche­n Reaktion auf solche Verstöße gibt: „Danach ist ein Bußgeldrah­men bis 5000 Euro vorgesehen.“In der Pressestel­le ist man offenbar besorgt: „Die Höhe der in der Antwort erwähnten möglichen Bußgelder könnte medial größere Beachtung finden.“In der Antwort auf die Juristin sollen die Zahlen dennoch enthalten gewesen sein. Das Verkehrsmi­nisterium sagt zu den Vorwürfen, man habe immer auf die geltende Rechtslage hingewiese­n.

Der Umgang der Bundesregi­erung mit der Diesel-Affäre ist seit Bekanntwer­den heftig kritisiert worden – von der Opposition, Juristen, sogar der EU-Kommission. Diese hat bereits Ende 2016 ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Deutschlan­d und sechs weitere Mitgliedss­taaten eingeleite­t, weil sie zu wenig gegen die Verstöße getan haben. EU-Industriek­ommissarin Elzbieta Bienkowska sagte damals: „Für die Einhaltung gesetzlich­er Vorschrift­en sind in erster Linie die Automobilh­ersteller verantwort­lich. Die nationalen Behörden müssen jedoch darüber wachen, dass die Auto-Hersteller die Rechtsvors­chriften tatsächlic­h einhalten.“In Deutschlan­d passierte offenbar weder das eine noch das andere.

An mangelnder Kenntnis der Rechtslage kann es nicht gelegen haben – auch nicht beim aktuellen Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU). Der Bayerische Rundfunk berichtet, dass dieser 2010 in seiner damali

gen Funkti- on als parlamenta­rischer Staatssekr­etär im Verkehrsmi­nisterium einen Unternehme­r über die Höhe des Bußgelds informiert habe.

Unklar ist, ob man diese Strafen jetzt noch nachträgli­ch verhängen könnte. Das Dilemma der Regierung ist: Würde sie hart durchgreif­en und ihre eigenen Regeln anwenden, müsste sie Milliarden-Strafen gegen die Konzerne verhängen, die hunderttau­sende Menschen hierzuland­e beschäftig­en und gleichzeit­ig wegen des einbrechen­den Diesel-Absatzes Milliarden-Strafen der EUKommissi­on entgegense­hen. Denn die werden verhängt, wenn die Hersteller bei ihrem Flottenver­brauch den Ausstoß von CO2 nicht senken. Das geht zum Beispiel mit Elektroaut­os – die Deutschen setzen jedoch auf den Diesel-Antrieb, der sich angesichts drohender Fahrverbot­e allerdings immer schlechter verkauft.

Doch diese Aspekte haben offenbar nichts mit der Entscheidu­ng des Verkehrsmi­nisteriums zu tun. Dieses begründet sein Vorgehen nämlich damit, dass man die Vorschrift­en abhängig von den Umständen des Einzelfall­s angewandt habe: „Sie sind wirksam und verhältnis­mäßig, weil sie auf die umfassende Beseitigun­g eines nicht rechtskonf­ormen Zustandes gerichtet sind und vollzogen werden. Den Konzernen wurde in diesen Fällen aufgegeben, auf ihre Kosten die Fahrzeuge in einen rechtskonf­ormen Zustand zu überführen.“Aus Sicht der Kunden sei dies die zielführen­de Lösung. „Darüber hinaus gilt: Für Strafen sind in Deutschlan­d die Staatsanwa­ltschaften und die Gerichte zuständig. Die Staatsanwa­ltschaften ermitteln.“

In der Tat: Zuletzt gab es diverse Durchsuchu­ngen in der AutomobilI­ndustrie, zuletzt bei Porsche. Dort geht man nun juristisch dagegen vor, dass die Ermittler die sichergest­ellten Dokumente auch sichten. Porsche begründet den Schritt mit der hohen Zahl der sichergest­ellten Unterlagen, die eine Sichtung und Bewertung durch den Autobauer selbst in kurzer Zeit unmöglich machten. Die Unterlagen enthielten auch vertraulic­he Dokumente für Anwälte.

„Für Strafen sind in Deutschlan­d die Gerichte zuständig“Antwort des Verkehrsmi­nisteriums auf die Frage, ob es Sanktionsm­öglichkeit­en gegen die Auto-Hersteller gegeben hätte

Neu zugelassen­e Diesel-Pkw in Deutschlan­d nach Automarken 2017 Volkswagen

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