Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zum Dritten! Wir ersteigern uns ein Rad

Mit dem Auftrag, ein Fahrrad für maximal 30 Euro zu ergattern, machte sich unser Autor auf zu einer Auktion der Stadt.

- VON SIMON JANSSEN

NEUSS Der Fahrradhän­dler zieht eine Augenbraue hoch und fällt ein für mich desillusio­nierendes Urteil. Eigentlich war ich nur zu ihm gekommen, um die beiden platten Reifen an meinem neuen Fahrrad aufpumpen zu lassen. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

Knapp zwei Stunden zuvor fährt mich ein Kollege in die Neusser Innenstadt. Ich lasse mich kutschiere­n, weil ich mir fest vorgenomme­n habe, zurück zu radeln. Und zwar mit einem frisch ersteigert­en Redaktions-Fahrrad, das die Kollegen in Zukunft mitnutzen können. In der Innenpassa­ge des Rathauses werden an diesem Tag nämlich Drahtesel versteiger­t. Im Vorfeld verriet mir ein Mitarbeite­r der Stadt, dass die meisten „Dinger“für einen niedrigen zweistelli­gen Betrag den Besitzer wechseln.

Beim ersten Blick auf die aneinander­gereihten Räder – schätzungs­weise sind es zwischen 100 und 200 – erklärt sich die angekündig­te Platzierun­g im Niedrigpre­isSegment. Viele sind in einem Zustand, der im Flohmarkt-Jargon wohl mit „Für Bastler“bezeichnet wird. Da gibt es den knallblaue­n Flitzer mit der Aufschrift „Power Eagle Electric“ohne Sattel oder ein namenloses Mountainbi­ke, dessen Offroad-Räder so aussehen, als wäre der vorige Besitzer mit ihm eine Regenperio­de lang durch tropische Sumpflands­chaften gedüst.

Aber wer die Vorbesitze­r sind, weiß niemand. Schließlic­h handelt es sich bei den Fahrrädern ausschließ­lich um Fundstücke, die keinem zugeordnet werden können. Bei emphatisch­en Menschen könnte da fast eine Spur Mitleid aufkommen.

Doch für Emotionen bleibt keine Zeit. Schließlic­h muss ich einen Auftrag erledigen. Ich mache es wie profession­elle Casino-Gäste und setze mir ein Limit: Teurer als 30 Euro sollte es nicht sein. Bevor die Versteiger­ung startet, haben die Auktionsgä­ste Gelegenhei­t, sich einen Überblick über die „Ware“zu verschaffe­n. Es wird gefühlt, fotografie­rt, fachmännis­ch beäugt. Alibimäßig taste ich auch einige Räder ab, um den Eindruck zu erwecken, als hätte ich Ahnung von der Materie. Schließlic­h sind alle Leute um mich herum potenziell­e Konkurrent­en. Da gilt es, Stärke zu demons- trieren. „Viel Schrott dabei“, höre ich einen Mann hinter mir zu seiner weiblichen Begleitung sagen.

Kurz bevor Günter Schorn vom Neusser Bürgeramt – er ist an diesem Tag der Auktionato­r – an das Mikrofon tritt, wähle ich meinen Favoriten beziehungs­weise das in meinen Augen kleinste Übel aus. Zugegeben, es sind auch einige Perlen dabei. Zum Beispiel Marken-Räder von Gazelle oder Bulls. Doch Hoffnung, diese Schmuckstü­cke für mein geplantes Budget abzustaube­n, lasse ich gar nicht erst aufkeimen. Stattdesse­n entscheide ich mich für ein dunkelgrün­es Hollandrad der Marke Zandvoort mit der Kennnummer 2018/27. Die Reifen sind zwar platt, aber das Rad macht optisch einen recht gepflegten Ein- druck. Liebhaber würden von Retro-Look sprechen. Sogar das Licht funktionie­rt und der Schlüssel für das Schloss steckt.

Die Regeln sind auch für Branchenfr­emde wie mich leicht zu verstehen. Bis 50 Euro wird in ZweiEuro-Schritten geboten, ab 50 Euro in Fünf-Euro-Schritten und ab 100 Euro in Zehnern. Die Auktion beginnt mit einem Schock: Das erste Rad – ein Mountainbi­ke, das auf die Bezeichnun­g La Strada Comfort hört – geht für stolze 85 Euro über den Tisch. Mit meinem geplanten Budget hätte ich da nicht mal ansatzweis­e die Muskeln spielen lassen können.

Als der Mann vom Ordnungsam­t mit den neongrünen Handschuhe­n mein auserwählt­es Zandvoort- Fahrrad auf den Tisch hievt, steigt die Nervosität. „Das Startgebot liegt bei sechs Euro“, ruft Schorn. Ich steige sofort ein und biete acht. Als danach sekundenla­ng Stille herrscht, denke ich, dass ich der einzige Bieter bin. Doch dann steigt ein Mann hinter mir mit ein. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen. In ZweiEuro-Schritten treiben wir den Preis in die Höhe. Ich schaue extra nicht nach hinten, um Augenkonta­kt zu vermeiden. Konkurrenz ohne Gesicht ist leichter zu besiegen. Ausgerechn­et bei 30 Euro steigt der Mitbieter aus. Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten – das Retro-Zandvoort gehört mir.

Stolz mache ich mich – schiebend – auf den Weg in die Redaktion. Unterwegs mache ich noch Halt bei Fahrradhän­dler Uwe Thiefes, um die Reifen aufpumpen zu lassen. Doch soweit sollte es gar nicht kommen. „Was ist das für ein Trümmerhau­fen?“, fragt er. Als ich sage, wie viel ich dafür bezahlt habe, schüttelt er nur ungläubig mit dem Kopf. „Da könnten Sie 100 Euro reinstecke­n und hätten immer noch ein schlechtes Fahrrad. Die Reifen müssen komplett neu“, sagt er. Ich danke und ärgere mich über meine Naivität. Mir wird plötzlich klar, warum es neben mir nur einen weiteren Mitbieter gab. Doch die Mission Redaktions-Fahrrad ist noch nicht beendet. Dem Zandvoort kann neues Leben eingehauch­t werden – davon bin ich fest überzeugt. Fortsetzun­g folgt.

 ?? FOTOS: WOI (3)/JASI(2) ?? Dank des neuen Redaktions-Fahrrads könnte das Auto für manche Termine in Zukunft pausieren. So war zumindest der Plan von NGZ-Redakteur Simon Janssen. Aktuell ist der Zandvoort-Drahtesel aber noch nicht fahrbar.
FOTOS: WOI (3)/JASI(2) Dank des neuen Redaktions-Fahrrads könnte das Auto für manche Termine in Zukunft pausieren. So war zumindest der Plan von NGZ-Redakteur Simon Janssen. Aktuell ist der Zandvoort-Drahtesel aber noch nicht fahrbar.
 ??  ?? Ein „echter Fachmann“überprüft natürlich auch die Reifen.
Ein „echter Fachmann“überprüft natürlich auch die Reifen.
 ??  ?? Immerhin: Der Dynamo funktionie­rt und erzeugt Licht.
Immerhin: Der Dynamo funktionie­rt und erzeugt Licht.
 ??  ?? Der Mann hinterm Mikro: Auktionato­r Günter Schorn.
Der Mann hinterm Mikro: Auktionato­r Günter Schorn.
 ??  ?? Ich biete mehr! Der Preis wird in die Höhe getrieben.
Ich biete mehr! Der Preis wird in die Höhe getrieben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany