Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Letzte Relikte des Weltkrieges entdecken
Bombenfunde und unübersehbare Bunker halten den Zweiten Weltkrieg, der heute vor 73 Jahre zu Ende ging, in Erinnerung. Doch es gibt auch noch Trümmer, seltsame Schriftzeichen an Häusern – und dahinter Luftschutzräume.
NEUSS Vor dem – inzwischen vermauerten – Durchbruch zum Nachbarhaus steht das Regal für Christbaumschmuck. Friedliche Zeiten brauchen keine Luftschutzräume und keine Notausstiege. Aber genau das hat sich bei Familie Steins an der Hebbelstraße erhalten. Und wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, entdeckt noch mehr Spuren aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der heute vor 73 Jahren mit der bedingungslosen Kapitulation NaziDeutschlands endete.
In Neuss waren die Tage des Krieges und der Angst schon vorher gezählt. Am 2. März 1945 rückten Soldaten der 89. US-Infanterie-Division von Westen her in die Stadt ein und Richtung Hafen vor. Noch in der Nacht zuvor hatten deutsche Truppen versucht, die Bahnhofsbrücke über die Further Straße in die Luft zu sprengen, erinnert sich Hermann-Josef Breuer, Jahrgang 1929. Der Druck der Explosion sei so stark gewesen, dass die Platten, mit denen die glaslosen Fensterrahmen der elterlichen Wohnung an der Königsstraße notdürftig verschlossen worden waren, herausflogen. Die Sprengung war nur zum Teil erfolgreich, sagt Breuer, der an diesen Knall wieder erinnert wurde, als auf dem gerade gerodeten Bahndamm am Hauptbahnhof jetzt wieder Mauerreste dieser Brücke zum Vorschein kamen.
Zehn schwere Luftangriffe musste Neuss überstehen. Auf Blindgänger aus diesen „Bombenhageln“stoßen Kampfmittelräumer noch immer. Zwei Fliegerbomben wurden im vergangenen Jahr entschärft, zwei waren es in diesem Jahr schon – und zwei stehen noch aus. Sie liegen aber so tief im Erdreich des Essity-Werkes an der Floßhafenstraße – und unterhalb des Grundwasserspiegels –, dass sie erst trocken gelegt werden müssen.
Vor den Bomben sollten sich die Neusser in Bunkern in Sicherheit bringen. 33 Erdbunker betreut alleine das Liegenschaftamt heute noch, dazu vereinzelte Hochbunker, wie den am Berghäuschensweg. Den kaufte die Stadt dem Bund Ende 2013 ab, hat aber noch keine Pläne vorgelegt, wie sie das Bauwerk nutzen will.
Überhaupt fällt es Neuss schwer, diesen Beton abzuschütteln. Und wo dies gelingt, ist es teuer – wie auf dem Gelände an der Katharina-Braeckeler-Straße in Bahnhofsnähe. Dort wurde ein Bunker entfernt, um neu bauen zu können.
Manchmal tauchen WeltkriegsRelikte wie zufällig auf. Wie etwa vor drei Jahren, als an der Mauer der Schraubenfabrik eine – Jahrzehnte verdeckte – Parole aus den letzten Kriegstagen lesbar wurde. Andere Schriftzüge aus dieser Zeit erkennt man noch heute, zum Beispiel an Hermannsplatz und Breite Straße. Dort markieren weiße Pfeile auf dem roten Mauerwerk jene Stellen, an denen Bergungstrupps den Notzugang zu einem Luftschutzraum finden konnten – wenn Bombenschutt diesen versperrte. Und Zusätze wie „Vorne“oder „Mitte“markieren die Lage dieses Luftschutz- raumes innerhalb des Kellers. Bei Regine und Dieter Steins an der Hebbelstraße verweist der Zusatz nach „Hinten“, auf die Gartenseite des Hauses, wo das Kellerfenster noch heute mit zwei schweren Panzerplatten zu verschließen ist.
1936 hatte der Bauunternehmer Johann Holthausen das Haus für seine Familie an der damaligen Dietrich-Eckart-Straße errichtet und Wert auf dicke Betondecken gelegt. Der Notausstieg aus dem Keller ist genauso erhalten wie die Türen, die – mit dicken Filzprofilen versehen – von innen verschraubt und abgedichtet werden konnten.