Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Mit 16 Jahren war ich ein echter Theater-Nerd“
Nach „Romeo and Juliet“kehrt die Regisseurin mit „Henry V.“zum Shakespeare-Festival zurück. Vier Vorstellungen sind geplant.
Wann und wie haben Sie entdeckt, dass die Bühne auch Ihre Welt ist?
FREESTONE Ich bin auf einer Farm an der englischen Südküste aufgewachsen. Es gibt also keinen ersichtlichen Grund, warum ich hätte zum Theater finden sollen – außer, dass Geschichten in meiner Kindheit eine erhebliche Rolle spielten. Ich bin den ganzen Tag mit meinem Bruder umhergezogen, wir haben Spiele nach Märchen und Sagen erfunden. Außerdem haben meine Eltern und Großeltern jeden Abend aus Büchern vorgelesen und Geschichten erzählt.
Und wie sind Sie zum Theater gekommen?
FREESTONE Meine Mutter hat mich zu einem Schauspiel ins Kunstzentrum des Ortes mitgenommen. Da gab eines der „Narnia“-Bücher in szenischer Bearbeitung. Ich wollte gar nicht glauben, dass die Figuren und Szenen, die für mich bis dahin nur auf dem Papier und in meinem Kopf existiert hatten, plötzlich vor mir standen. Und dass auch andere Leute im Publikum sie offenbar erkannten. So kam ich an das Jugendtheater des Ortes. Sie und der Theaterlehrer an meiner Schule animierten mich. Mit 16 Jahren war ich ein echter Theater-Nerd – ich habe den ganzen Tag nur Schauspiele gelesen.
Warum ist Shakespeare noch immer so beherrschend?
FREESTONE Ob es um Krieg oder Liebe, Macht oder Freundschaft geht – bei ihm finden wir auch heute noch Richtlinien, Anregungen und Klarheit. Wortgewaltig und mit messerscharfen Gedanken spricht er von unseren Hoffnungen, unseren Dämonen und unseren Ängsten. Er betrachtet die ärgsten und die besten Verhaltensweisen der Menschen. Er zwingt uns, uns selbst zu betrachten. Das aber tut er mit Witz und Mitgefühl und Verständnis. Die Faszination seiner Schauspiele nimmt nicht ab, jede neue Produktion kann neue Aspekte offenbaren, immer wieder treten neue Dinge zu Tage.
Was sind die herausstechenden Merkmale Heinrichs V.?
FREESTONE Er befindet sich in einem seelischen Aufruhr. Er betrauert den Tod des Vaters, zu dem er eine komplizierte Beziehung hatte. Sein Thron schwankt, man äußert Zweifel an seiner Legitimität. Er hat die Freunde verloren, mit denen er durch Eastcheap zog und bei denen er der sein konnte, der er wirklich war. Er ist einsam, weiß nicht, wie er regieren soll, weiß nicht einmal, was man von ihm als Herrscher verlangt. Durch seinen Kriegszug hat er die Möglichkeit, all diese Probleme zu lösen: Er kann sich mit dem Vater aussöhnen, die gespaltene Nation heilen, sich vor seinem Volk beweisen und sich selbst finden.
Was steht in Ihrer Produktion im Vordergrund?
FREESTONE Ich hoffe, dass wir die Geschichte erzählen und das Schauspiel sich auf diese Weise selbst erklärt. Natürlich interessiert mich das Thema der Führerschaft und der Verantwortung, die die Herrschenden zu tragen haben. Was macht einen guten Führer aus? Wie kann man ein guter Führer und zugleich ein gutes menschliches Wesen sein? Ich denke, dass die Produktion auch die Kosten von Kriegen betrachtet – den Preis, den sämtliche Beteiligten, Sieger und Verlierer, Zivilisten und Soldaten zu zahlen haben. Alles hat seinen Preis.
Wie wichtig ist die Rolle des »fünften Elements«, der Liebe, in Ihrer Produktion des Stückes?
FREESTONE Der fünfte Akt ist bekanntermaßen schwierig. Er ist so etwas wie eine Liebeskomödie, die dem Kriegsdrama angeheftet ist. Wir sehen die Sache in unserer Produktion ganz anders. In unserem „Henry V“ist Katharine der Dauphin. Das sind nun keine zwei verschiedenen Figuren – sie ist ganz einfach der Dauphin. Von Katherine kommt also die Herausforderung zum Tennis. Es ist Katharine, die in Agincourt kämpft. Und Katharine wird am Ende zur politischen Schachfigur. Unsere , Liebesszene’ ist also weitaus komplizierter, denn hier geht es nicht nur darum, dass ein König einer Prinzessin den Hof macht. Er wird um sie kämpfen müssen, wie er nie zuvor gekämpft hat. Und sie wird eine sehr pragmatische Entscheidung treffen müssen: ob es besser ist, Königin von England und somit auch von Frankreich zu sein – oder überhaupt keine Königin. Info 12. und 13. Juni, 20 Uhr, 14. Juni, 15 und 20 Uhr, Karten unter 02131 526 99 99 9 und im Internet unter www.shakespearefestival.de