Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das Wandern ist des Neussers Lust
Mit dem Eifelverein an die Ahr. Dieses Angebot nehmen 20 Wanderer zwischen 41 und 83 an, die auf dem Karl-Kaufmann-Weg nach Ahrbrück laufen. Doch das Ziel erreichen sie ohne ihren Wanderführer.
NEUSS/AHRBRÜCK Die Hohe Warte ist gerade genommen, da stimmt Josef denn doch mal ein Lied an. Der 83-Jährige ist der Älteste in der Gruppe und musste für ein WDRKamerateam sogar schon einmal mit der „Klampfe“vor dem Bauch und Lieder schmetternd durch den Wald stapfen. Doch die Gitarre liegt jetzt daheim – und ohne Musik kommt das Lied „Aus grauer Städte Mauern“nicht recht in Schwung. Der Gesang erstirbt mit Strophe zwei: „Der Wald ist unsre Liebe“.
Das würde so wohl jeder in der Wandergruppe unterschreiben, doch jetzt wird die Luft dringend anders gebraucht. Man hat schon einiges hinter und noch viel mehr vor sich – und es bleiben nicht einmal drei Stunden für die zwölf Kilometer, die die Gruppe des Eifelvereins Neuss vom Bahnsteig in Ahrbrück trennen. Verpasst sie den Zug dort, wird dieser lange Wandertag noch um einiges länger. Also los. Auch ohne „halli, hallo“.
Wer mit dem Eifelverein unterwegs ist, schließt sich einer bunten Truppe an. An diesem frühlingshaften Sonntag sind es 20 Eifelfreunde, die sich der von Waltraud und Werner ausgearbeiteten Tour anschließen wollen. Charles ist dabei, ein Luxemburger (für das internationale Flair), Kurt, der mal Krankenpfleger im „Lukas“war, oder Gerd, ein Oberstaatsanwalt a.D.. Und Erich. Der stellt sich mit dem Satz vor: „Ich bin so ein Stahlheini“. Dass er als Ingenieur am Bau der Fleher Brücke beteiligt war, lässt er erst später aus dem Sack.
Die meisten sind solo dabei, so wie Rosemarie. Die kam 1970 der Liebe wegen nach Düsseldorf, lebt heute verwitwet in Norf und vermisst ihre Heimat, die Schwäbische Alb. Diese Mittelgebirgs-Sehnsucht stillt sie bei Ausflügen mit dem Eifelverein. Auch bei „Stahlheini“Erich wandert immer ein Stück Erinnerung mit. Oft auch an tolle Touren mit dem Eifelverein, zum Beispiel durch Südtirol.
Dass der Eifelverein nur in seinem „Stammgebirge“unterwegs ist, stimmt schon lange nicht mehr. Wanderwochen im Ausland und kulturelle Reisen sind längst fester Bestandteil des Jahresprogramms, das aber eher Tageswanderungen ins Bergische Land, ins SchwalmNette-Gebiet oder andere Gebiete in Reichweite prägen. Was das heißt, bestimmt der Wanderführer. Und Werner hat schon ein Jahr zuvor, als er seine Tour für das Programm angezeigt hat, entschieden: Ahrbrück ist noch in Reichweite.
Der kleine Ort mit gerade 1200 Seelen ist nicht das Ende der Welt – aber gefühlt kurz davor. Als die Bummelbahn um 11 Uhr direkt vor dem Prellbock hält, hinter dem nur noch Schotter daran erinnert, dass es da mal weiterging, sind die Ausflügler schon fast drei Stunden mit der Bahn unterwegs. Aber Busse, sagt Marlies, sind zu teuer. Und bei einer Anreise mit Privatautos ginge die Geselligkeit flöten. Josef
Als ein Linienbus die Wanderer noch einmal eine halbe Stunde später endlich in Leimbach absetzt, dem Ausgangspunkt der Tour, ist der Bewegungsdrang enorm. Werner zeigt in eine Richtung, und alles stürmt los – ein paar hundert Meter in die falsche Richtung. Und als der Wanderführer alle wieder eingefan- gen und auf den richtigen Weg dirigiert hat, ist ihm doch glatt durchgegangen, dass die Begrüßung zum Ritual gehört. Man startet immer mit dem Wandergruß „Frisch auf“– nur heute nicht.
Aber die Stimmung steigt schnell wieder. Der Einstieg in die Tour ist rasch gefunden, und langsam geht es hinauf zur Hohen Warte, wo die Gruppe auf den Karl-KaufmannWeg einbiegt, der sie zurück nach Ahrbrück führt. Alles in allem 20 Kilometer. „Die Entfernung wird manchmal aufgerundet“, sagt Josef mit einem Augenzwinkern. „Die Leute wollen doch stolz sein.“
Schnell kommen Plaudereien in Gang. Rosemarie erzählt vom Triathlon und dass sie Sportprüfungen abnimmt. Josef erinnert an einen Besuch im Ahrtal, bei dem die Neusser zum Abschluss einer Tour auf einen Folklore-Umzug stießen – und sich als eigene Trachtengruppe gleich anschließen sollten. Und Susanne berichtet, dass sie „Steigsammlerin“ist: Jeden Fernwanderweg, von dem sie ein Abzeichen am Rucksack hat, ist sie auch gelaufen. „Ganz“, wie sie betont. Sogar die 1700 Kilometer auf dem „E 1“von Flensburg nach Konstanz.
So geht es munter durcheinander um den Weg, die Gesundheit, die Familie, das Leben. Und es geht um Wölfe. „Bei denen darf sich nur der Rudelführer paaren“, behauptet einer – und alles lacht. Doch „Rudelführer“Werner hat das nicht mitbekommen. Er fällt immer wieder zurück und muss zusehends kämpfen. Die Gruppe improvisiert, wie schon öfter auf einer Tour. Und man beschließt, was man immer zu vermeiden versucht: die Gruppe teilt sich. Einige bleiben bei dem angeschlagenen Werner, der später von Sanitätern an einem markierten Rettungspunkt am Weg aufgenommen und ins Krankenhaus gebracht werden muss. Die anderen dürfen losspurten, damit sie den Abendzug erreichen. Das klappt. „Wir fahren in die Welt“, könnte man jetzt anstimmen, da kommt die Durchsage: „Wegen polizeilicher Ermittlungen fährt der Zug nicht durch.“
„Die Entfernung wird manchmal aufgerundet. Die Leute wollen doch stolz sein“ Wanderer im Eifelverein