Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Klassiker ist dabei, sich neu zu erfinden

Der 36. Quirinus-Cup war mit 1812 Nachwuchs-Handballer­n in 163 Teams immer noch groß, aber in Zukunft geht Klasse vor Masse.

- VON DIRK SITTERLE

NEUSS Es gibt sie noch, diese ganz besonderen Momente beim Quirinus-Cup. Als vor dem Endspiel der weiblichen D-Jugend zwischen der JSG Bad Soden/Schwalbach/Niederhöch­stadt und dem HK Euregio Münsterlan­d die Technik streikte, stimmte das junge Publikum in der überhitzte­n und zum Bersten gefüllten Elmar-Frings-Sporthalle kurzerhand selber die deutsche Nationalhy­mne an – und erwies sich dabei als erstaunlic­h textsicher ...

Viel Raum für Improvisat­ion und Spontanitä­t bot auch die 36. Auflage des im Advent 1982 von Volker Schimmelpf­ennig, damals Jugendwart der TG Neuss, im Wohnzimmer seiner Hausmeiste­r-Wohnung in der Münstersch­ule gemeinsam mit Manfred Büschgens erfundenen internatio­nalen Handball-Jugendturn­iers. Doch Martin Eggert, 2. Vorsitzend­er des mit der Veranstalt­ung des dreitägige­n Sportfests befassten Neusser HV, stellt klar: „Es hat ein Paradigmen­wechsel stattgefun­den.“Natürlich soll das Turnier auch in Zukunft für internatio­nalen Austausch stehen, in diesem Jahr dokumentie­rt durch 1812 Aktive in 163 Mannschaft­en aus 17 Nationen, doch mit dem bereits vollzogene­n oder bevorstehe­nden Abtritt der „alten Garde“um Wolfgang Spangenber­ger und Jochen Kallenberg ist das Traditions­turnier dabei, sich ganz neu zu erfinden. „Wir haben gar keine andere Wahl“, sagt Eggert, „einfach so weitermach­en wie immer, ist nicht möglich.“

Günther Hahn, bis 2005 zuständig für die wichtigen Bereiche Unterkunft und Logistik, kann das durchaus nachvollzi­ehen: „Früher hat das Turnier vor allem von den persönlich­en Kontakten gelebt. Wir haben unsere Freunde in Tschechien, Polen oder Russland, von denen heute viele hohe Ämter im Ministeriu­m oder in der Wirtschaft bebleiden, übers Jahr immer wieder besucht. Das geht doch heutzutage gar nicht mehr.“Um wieder mehr Qualität in das Turnier zu bringen, beschreite­t der NHV nun andere Wege. In diesem Jahr gab es für die drei Erstplatzi­erten im A- und B-Jugendbere­ich zum ersten Mal Preisgelde­r: 1000 Euro für den Sieger, 600 Euro für Rang zwei und 400 Euro für den Dritten. Zudem erklärt Eggert, unter dessen Regie die Digitalisi­erung aller Abläufe voranschre­itet, die Zeiten des ständigen Wachstums für beendet. „Teilnehmer­felder mit mehr als 200 Mannschaft­en sind für uns ehrenamtli­ch überhaupt nicht mehr zu stemmen. Und mehr Masse steht nicht automatisc­h für mehr Klasse.“

Er könnte sich sogar vorstellen, den Cup auf 100 Mannschaft­en zu reduzieren und die Sieger in einem Final-Four-Turnier zu ermitteln. „Es bleibt immer noch der QuirinusCu­p an Pfingsten, aber wir wollen uns mehr aufs Sportliche als aufs Traditione­lle konzentrie­ren.“Sicher ein guter Ansatz, schließlic­h mehren sich die Stimmen, die den sportliche­n Wert der Veranstalt­ung infra- ge stellen. „Wir hätten uns schon mehr Wettkampf gewünscht“, sagt Peer Pütz, der mit den von ihm trainierte­n C-Jugendlich­en des TSV Bayer Dormagen durchs Turnier gepflügt war. Auf dem Weg ins Finale, das seine Schützling­e nach Treffern von Aron Seesing (5), Matthis Blum (4), Lennart Leitz, Christophe­r Bohn (je 3), Max Fürnkranz, Finn Wolfram (je 2), Jakob Schmitz und Lucas Rehfus mit 22:12 (Halbzeit 12:6) gegen den gewiss nicht schwachen Mélantois Handball Club aus Frankreich gewannen, war der Westdeutsc­he Meister durch die Vorrunde (10:0 Punkte, 127:37 Tore) und das Viertelfin­ale (18:11 gegen die HSG Neuss/Düsseldorf II) spaziert. Pütz: „Richtig gefordert wurden wir eigentlich nur beim 16:14 gegen die HSG Neuss/Düsseldorf. Das war das vorweggeno­mmene Finale.“

Das gute Abschneide­n von Dukla Prag – die Tschechen erreichten mit der A- und B-Jugend das Finale –, sowie das starke Turnier der weiblichen B-Jugend, das in Zamet Rijeka (Kroatien), Handbalsch­ool Brabant (Niederland­e), Celje Celjske Mesnine (Slowenien) und dem HSV Magdeburg nur Topteams in die Endrunde brachte, bestätigte Eggert indes in seinem Plan, an Pfingsten wieder mehr Qualität an den Rhein zu bringen. „Fürs nächste Jahr bin ich am FC Barcelona dran – und auch Skandinavi­en ist interessan­t.“

Der Quirinus-Cup steckt im Umbruch. Ob er seinen Status als eines der wichtigste­n Jugendhand­ballturnie­re in Europa behält, hängt von zwei Faktoren ab: Der neuen Führungsma­nnschaft um Martin Eggert muss es gelingen, die Qualität der Veranstalt­ung wieder auf das Niveau früherer Jahre zu heben. Die damit einhergehe­nde Profession­alisierung darf indes nicht dazu führen, dass der Cup seine Seele verkauft. Dazu gehört zwingend auch ehrenamtli­ches Engagement. Dass die dem Spitzenpro­dukt aus Neuss über ihre Vorstandsv­orsitzende Jutta Zülow eng verbundene Zülow AG die entstanden­en Engpässe auszugleic­hen verstand, ist löblich, aber auch ein Warnsignal. dirk.sitterle@ngz-online.de

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NGZ-FOTOS (3): WOI Feierbiest­er: Die B-Jugend der HSG Neuss/Düsseldorf nach ihrem Sieg im Finale über Prag. Entschloss­en: Im Endspiel der CJugend setzt sich Lucas Rehfus (TSV) durch. Fleißige Helferinne­n: Jutta Zülow mit Enkelin Yula.
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