Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Trump und Kim – ein Missverstä­ndnis

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Letztlich ist es eine Lektion in Sachen Realpoliti­k für Donald Trump. Auf den letzten Metern vor seinem historisch­en Gipfel mit Kim Jong Un hat er lernen müssen, dass sich manche Konstanten nicht so schnell ändern, auch wenn er in dem für ihn so typischen Superlativ das Gegenteil verspricht.

Trump hat die nunmehr geplatzte Begegnung als eine Art Geniestrei­ch verkauft, bei dem ihm gelingen werde, woran sich drei seiner Vorgänger im Oval Office, von Bill Clinton über George W. Bush bis hin zu Barack Obama, die Zähne ausgebisse­n hatten. Er, der selbst ernannte Meister des Verhandlun­gspokers, wollte als derjenige US-Präsident in die Annalen eingehen, der das nordkorean­ische Atomprogra­mm begraben würde – mit Willensstä­rke und Geschick, schon bald dafür gewürdigt mit dem Friedensno­belpreis. Als sich abzeichnet­e, dass die Realität nicht Schritt hielt mit den Vorschussl­orbeeren, hat er kalte Füße bekommen.

Um die Absage zu begründen, führte er die aggressive Rhetorik nordkorean­ischer Politiker ins Feld, Wortmeldun­gen der letzten Tage, die „offene Feindschaf­t“erkennen ließen. Angesichts dessen sei es „nicht angemessen“, am ursprüngli­chen Plan festzuhalt­en. Zum Wohle beider Seiten, aber zum Nachteil der Welt, schrieb Trump, werde der Gipfel in Singapur nicht wie angekündig­t am 12. Juni stattfinde­n. „Sie sprechen von nuklearen Fähigkeite­n“, fügte er hinzu, „aber unsere sind so massiv und mächtig, dass ich zu Gott bete, dass sie niemals eingesetzt werden müssen“. Es ist ein Satz, der an Tweets aus der heißen Phase des verbalen Schlagabta­uschs mit Kim denken lässt. Damals hatte der Amerikaner damit geprahlt, dass er, verglichen mit dem „kleinen Raketenman­n“, den sehr viel größeren Atomknopf besitze. Der Präsident, kritisiert Bill Nelson, ein demokratis­cher Senator aus Florida, habe sich nicht gründlich genug vorbereite­t auf Gespräche mit einem totalitäre­n Diktator wie Kim Jong Un. Daher nun der Verzicht.

Tatsächlic­h war nie zu übersehen, welch tiefer Graben zwischen den Interessen der Amerikaner und denen der Nordkorean­er klafft. Spricht Trump von der Denukleari­sierung der koreanisch­en Halbinsel, meint er die Verschrott­ung sämtlicher Atomwaffen in den Arsenalen Pjöngjangs. Spricht Kim davon, meint er, dass die USA im Gegenzug den atomaren Schutzschi­rm für ihre ostasiatis­chen Verbündete­n einklappen. Vorerst ist der Brückenbau über den Graben gescheiter­t, und wie lange es bis zum nächsten Anlauf dauert, wagt im Moment niemand zu prophezeie­n.

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