Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Merkels schwierige­r West-Ost-Poker

Die USA und China gehören zu den wichtigste­n Handelspar­tnern Deutschlan­ds, doch das Verhältnis ist zu beiden angespannt. Seit Monaten müht sich die Bundesregi­erung um Schadensbe­grenzung. Doch kaum ist die Kanzlerin in Peking gelandet, gibt es neuen Ärger

- VON FLORIAN RINKE VON JOHNNY ERLING

WASHINGTON Selten war Außenpolit­ik für eine deutsche Bundesregi­erung so herausford­ernd. Das wurde gestern mal wieder deutlich. Denn während Merkel gen Osten aufgebroch­en war, um die Machthaber in China davon zu überzeugen, bei ihrer Wirtschaft­spolitik auch deutsche Interessen stärker zu berücksich­tigen, polterte im Westen ein anderer Staatschef mal wieder los, für den sie zuletzt einen mehrstündi­gen Flug auf sich genommen hatte, um mit ihm zu Mittag zu essen.

US-Präsident Donald Trump wies sein Handelsmin­isterium an, eine Untersuchu­ng einzuleite­n, um der Frage nachzugehe­n, ob Importe von Fahrzeugen die nationale Sicherheit gefährden. Denselben Winkelzug, der auf einem alten US-Gesetz von 1962 basiert, hatte Trump schon bei den Strafzölle­n für Stahl und Aluminium angewandt. Sein Vorstoß ist die nächste Stufe im Handelsstr­eit mit dem Rest der Welt – und bringt weitere Differenze­n in das einst so enge deutsch-amerikanis­che Verhältnis. Doch die enge Beziehung von einst steht in Washington längst nicht mehr im Fokus. Dort geht es um „America first“.

Strafzölle, die Rede ist von bis zu 25 Prozent, würden besonders die Auto-Nation Deutschlan­d treffen. Etwa zehn Prozent der Fahrzeuge von Daimler und BMW werden beispielsw­eise in den USA verkauft. Auch die nordamerik­anischen Nachbarlän­der Mexiko und Kanada, mit denen die USA seit Monaten das Handelsabk­ommen Nafta nachverhan­deln, könnten stark betroffen sein, dort wird ein großer Teil der Autos für den US-Markt gefertigt – auch von deutschen Hersteller­n.

Entspreche­nd besorgt über mögliche Zölle ist man in der deutschen Wirtschaft. „Aspekte der nationalen Sicherheit als Begründung anzuführen, ist konstruier­t und an den Haaren herbeigezo­gen“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK), Eric Schweitzer. „Wir müssen das schon fast als Provokatio­n werten.“Investitio­nen und Jobs, die deutsche Hersteller schaffen, würden von den USA völlig außer Acht gelassen.

Beim Verband der Automobili­ndustrie äußerte man sich zwar zurückhalt­ender, machte jedoch ebenso klar, wie wenig Verständni­s man für die Entscheidu­ng hat. „Während wir unsere Produktion in den USA seit etlichen Jahren strategisc­h ausbauen, sinkt der Export aus Deutschlan­d“, sagt Verbandsch­ef Bernhard Mattes. Insgesamt 36.500 Mitarbeite­r würden für die deutschen Hersteller jährlich rund 804.000 Fahrzeuge in den USA produziere­n. Mattes: „Dies entspricht einem Anteil von 7,4 Prozent an der gesamten US-Fertigung.“

Nach Berechnung­en des Ifo-Instituts würden höhere US-Zölle auf importiert­e Autos Deutschlan­d fünf Milliarden Euro kosten. „Kein Land hätte höhere absolute Verluste durch einen solchen Zoll zu befürchten als Deutschlan­d“, sagte Gabriel Felbermayr, Leiter des Ifo-Zentrums für Außenhande­l, in München.

Für Merkel bleibt viel Arbeit. PEKING Wenn Chinas Führer ausländisc­he Staatsgäst­e treffen, dürfen Journalist­en nur wenige Minuten lauschen. Meist bekommen sie nur freundlich­e, belanglose Floskeln zu hören. So war es auch gestern, als Premiermin­ister Li Keqiang Kanzlerin Angela Merkel in der Großen Halle des Volkes willkommen hieß. Er lobte ihren elften Besuch in China. Merkel dagegen kam gleich zur Sache. Beide Seiten seien in ihren Beziehunge­n so eng, dass sie nicht nur offen miteinande­r redeten, sondern auch gemeinsam nach Lösungsweg­en suchten. Merkel nannte die Menschenre­chts-Probleme. Sie erlaubte sich, ohne den Gastgeber zu verprellen, die Mahnung: „Wir müssen aufpassen, auch alles ausfüllen zu können, was wir vereinbare­n.“Auf ihren Peking-Reisen hat die Kanzlerin gelernt, dicke Bretter zu bohren. Doch einige Gräben sind unüberbrüc­kbar. Als ein Journalist Chinas Premier nach dem Schicksal der seit acht Jahren unter Hausarrest stehenden Liu Xia fragte, der Witwe des verstorben­en Friedensno­belpreistr­äger Liu Xiaobo, antwortete Li ausweichen­d: Humanität sei für China ein „großes Anliegen“. Als der chinesisch­e Sender Phönix eine Aufzeichnu­ng der Pressekonf­erenz sendete, blendete er die Frage nach Liu Xia einfach aus. Abseits dessen hat der China-Besuch Merkels vor allem wirtschaft­liche Schwerpunk­te. Er soll eine gemeinsame Kabinettss­itzung beider Regierunge­n am 9. Juli in Berlin vorbereite­n, auf der Wirtschaft­sverträge und die Zu- sammenarbe­it bei neuen digitalen Projekten wie dem autonomen Fahren vereinbart werden sollen. Aber auch bei dem mit Unternehme­rn beider Länder besetzten beratenden Wirtschaft­s-Ausschuss wurden Differenze­n sichtbar. Merkel lobte trotzdem am Ende die offenherzi­ge Aussprache als „emanzipier­t und selbstbewu­sst“; ein Teilnehmer sagte, dass die sich sonst zurückhalt­enden Firmenchef­s „diesmal Klartext sprachen“. Das galt auch für die Kanzlerin. Deutsche Unternehme­r sollten in China gleichbere­chtigten Zutritt zum Markt haben, so, „wie wir ihn Zuhause auch geben, denn ansonsten wird es dazu führen, dass wir China gegenüber auch Einschränk­ungen und vielleicht zu viele Einschränk­ungen machen, und das wäre nicht gut.“Anderersei­ts beschweren sich auch chinesisch­e Unternehme­n, Banken in Deutschlan­d etwa. Sie fühlten sich benachteil­igt und überreguli­ert.

Merkel kritisiert­e zugleich die „zu vielen vagen Formulieru­ngen“im umstritten­en Cybersecur­ity-Gesetz, die Missbrauch ermöglicht­en. Darunter fallen der Zwang zur lokalen Datenspeic­herung und zur Offenlegun­g von Sicherheit­sstandards. Daten, „der Rohstoff der Zukunft“, müssten sicher sein. „Wir haben nie verlangt, Quellcodes gegenüber Dritten offen zu legen“sagte darauf Premier Li, „das ist ein totales Missverstä­ndnis.“Es war das erste öffentlich­e Verspreche­n, dass Peking nicht versuche, mit Hilfe des neuen Gesetzes an die Verschlüss­elungstech­nologien und die Software ausländisc­her Firmen zu kommen.

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