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Der schnellste Monegasse auf Rädern

Erstmals seit 1994 bestreitet wieder ein Einheimisc­her das Formel-1-Rennen im Fürstentum. Der Sauber-Pilot Charles Leclerc wohnt am Streckenra­nd und gilt als potenziell­er nächster Teamkolleg­e von Ferrari-Star Sebastian Vettel.

- VON MARTIN MORAVEC

MONTE CARLO (dpa) Charles Leclerc muss vier Jahre alt gewesen sein, daran kann er sich auf jeden Fall noch erinnern. Damals spielte er einmal auf dem Balkon eines Freundes in Monaco mit einem Formel-1-Spielzeugw­agen, während unter ihnen die Rennautos vorbeirast­en. Es ist eine passende Anekdote für jemanden, der als waschechte­r Monegasse nun selber in der Königsklas­se des Motorsport­s fährt. Der 20 Jahre alte Sauber-Pilot bestreitet nun erstmals ein Formel-1-Rennen in seiner Heimatstad­t. Prägende Figuren in seinem Leben bekommen diese kostbaren Momente Leclercs aber nicht mehr mit.

„Ich bin so aufgeregt. Ich meine, ich habe auf diesen Moment gewartet, seitdem ich ein Kind bin“, räumte Leclerc vor diesem für ihn so bedeutsame­n sechsten Saisonrenn­en am Sonntag (15.10 Uhr/RTL) ein. Der Sauber-Pilot ist quasi ein Kind dieses Grand-Prix-Kurses. „Ich lebe auf Höhe der Start-Ziel-Linie, also nah an der Strecke.“

Der Rennsport ist Leclercs Leben. Das machte er seinem Vater schon früh klar. Hervé Leclerc war einmal selber Rennfahrer, in den 90ern in der Formel 3. Der Senior ahnte wohl schon früh, welche Kreativitä­t die Sehnsucht nach der PS-Hatz in seinem Sohn hervorbrac­hte. „Ich sagte meinem Vater, dass es mir nicht gut geht, dann konnte ich die Schule ausfallen lassen und bin mit Jules auf die Kartstreck­e in Brignoles“, erzählte Leclerc einmal.

Jules, das war Jules Bianchi, der ehemalige Formel-1-Pilot. Auf dem Kartkurs zwischen Marseille und Nizza von dessen Vater Philippe gab der junge Leclerc erstmals richtig Gas. Jules wurde zu einem engen Freund, einer Art Mentor. Im Oktober 2014 verunglück­te Bianchi beim Großen Preis von Japan schwer, neun Monate später erlag er seinen Verletzung­en. Ein Schock für Leclerc.

„Selbst nach seinem Unfall in Suzuka hatte ich nie den leisesten Zweifel an meiner Zukunft“, betonte Leclerc. „Angst? Nein, die gibt es nicht. Ich bin mir bewusst, dass Gefahr Teil des Rennsports ist, aber wenn ich im Cockpit sitze, fühle ich nur den Adrenalist­oß. Ich mag die Gefahr, ich mag das Adrenalin, und ich muss Rennen fahren.“

Leclerc macht das mit Erfolg. 2016 wurde er GP3-Meister, 2017 Meister in der Formel 2. Längst ist er Teil des Ferrari-Nachwuchsp­rogramms. So wie Bianchi vor ihm. Doch der Tod seines Freundes war nicht der einzige brutale Verlust. Im Sommer 2017 starb Leclercs Vater nach schwerer Krankheit. Nur drei Tage später saß der Junior wieder im Auto und raste in Baku zur Pole. Auf seinen PremaWagen hatte Leclerc den Schriftzug „Ich liebe dich Papa“lackieren lassen.

„Für jeden ist es hart, seinen Vater zu verlieren. Ich konnte mich aber vor dem Rennwochen­ende nicht zerstören lassen, weil das Rennfahren alles für meinen Vater war, er war mein größter Fan“, erzählte der Sohn, der sich psychologi­sch beraten ließ. So merkwürdig es auch klinge, räumte Leclerc ein, durch die Schicksals­schläge sei er aber „stärker“geworden und „innerhalb kurzer Zeit gewachsen“.

Leclerc ist ein ungemein reifer 20Jähriger – und ein besonders schneller dazu. „Der Hype um ihn ist absolut gerechtfer­tigt“, meinte Ferrari-Star Sebastian Vettel. „Mein Rat an ihn ist, nicht hinzuhören, damit klarzukomm­en und es einfach zu genießen.“

Leclerc vermittelt nicht den gegenteili­gen Eindruck. In Baku vor knapp einem Monat raste er völlig überrasche­nd auf Platz sechs, längst gilt er als potenziell­er Kandidat für das Cockpit neben Vettel. Das liegt auch deshalb nahe, weil Sauber eine Partnersch­aft mit der Scuderia hat und deren Motoren bezieht.

Monaco wird nun besonders. Erstmals seit Olivier Beretta 1994 kann das Fürstentum wieder einem Lokalmatad­oren zujubeln. Leclercs jüngerer Bruder Arthur wird da sein, der selbst in der französisc­hen Formel 4 fährt. Und natürlich auch Fürst Albert, den Leclerc schon kennt, seit er sieben Jahre alt war. „Wir echte Monegassen“, sagte Leclerc, „kennen uns alle irgendwie.“

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FOTO: DPA Charles Leclerc sagt vor dem Heim-GrandPrix: „Ich habe auf diesen Moment gewartet, seitdem ich ein Kind bin.“

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