Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Hotzenplotz liegt wieder auf der Lauer
Das neue Abenteuer des Räubers mit dem großen Hut wurde aus dem Nachlass seines Schöpfers Otfried Preußler herausgegeben. Die Geschichte ist ehrlich gesagt ein bisschen dünn. Aber das macht nichts.
DÜSSELDORF Der Räuber Hotzenplotz ist der einzige KinderbuchHeld mit desaströsem polizeilichen Führungszeugnis, und auch sonst ist er der allerbeste Typ. Er hat immer sieben Messer dabei, außerdem einen Säbel und für alle Fälle auch noch eine Pfefferpistole. Er hat einen Bart und einen Hut, und zwar so einen Hut, der echt ein Hut ist und kein Hütchen. Und er ist so frei, dass er nicht mal Schuhe braucht, sondern immer barfuß unterwegs ist.
Sein Tagesgeschäft ist das Aufder-Lauer-Liegen, und das nimmt er ernst; dafür steht er an jedem Wochentag um Punkt sechs Uhr auf, damit er auch wirklich um halb acht bei der Arbeit sein kann, also auf der Lauer. Und wenn er etwas klaut, dann nur das Allernötigste, der Hotzenplotz stiehlt nämlich mit Stil. „Ich will auch eine solche Kaffeemühle haben, die ein Lied spielt, wenn man dran kurbelt“, sagt er zur vergnügt kaffeemahlenden Großmutter. Und ganz ehrlich, man kann ihn gut verstehen: Kaffee und Musik, etwas Besseres gibt es doch gar nicht.
Der erste Band des „Räuber Hotzenplotz“erschien 1962, und im Grunde war er nur ein Zufallsprodukt. Sein Schöpfer Otfried Preußler arbeitete gerade an seinem düsteren Roman „Krabat“und wollte zwischendurch doch lieber mal etwas Heiteres schreiben, zur Entspannung. Und so erzählte er die Geschichte vom total bösen, aber doch auch unheimlich liebenswerten Räuber, der einer Großmutter die Kaffeemühle stiehlt. „Wer sind Sie denn?“,
fragt die ahnungslo- se Dame den Räuber. Darauf entgegnet der mit breiter Brust und rührend kindlichem Stolz: „Sie lesen wohl keine Zeitung, Großmutter?“Jedenfalls ersinnen Kasperl und Seppel eine List, mit der sie dem Räuber auf die Schliche kommen. Sie schreiben auf eine Holzkiste die Worte „Vorsicht Gold!“, und so locken sie ihn in die Falle. Am Ende wird der Räuber gefangen und ins Spritzenhaus gesperrt.
Direkt nach Erscheinen war der Hotzenplotz bereits so populär, dass Preußler Unmengen an Zuschriften bekam. Tenor: Bitte fortsetzen! Und so schrieb er die Geschichte weiter und lieferte noch zwei Bände. Der letzte erschien vor 45 Jahren, und weil mehrere Generationen von Jungs beim Wort Räuberhöhle fortan immer an den Hotzenplotz und ein bisschen auch an Gert Fröbe dachten, der den Räu
ber in der tollen Verfilmung aus dem Jahr 1974 spielte, ist jetzt natürlich die Aufregung groß: Es gibt einen vierten Band! Gestern wurde das zunächst für Mitte Juli angekündigte Buch „Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete“wegen der vielen Vorbestellungen vorzeitig ausgeliefert. Was insofern passend ist, als Großmutters Kaffeemühle, von der eben die Rede war, das Lied „Alles neu macht der Mai“spielte und jetzt ja auch Mai ist, und die Geschichte des Hotzenplotz neu geschrieben werden muss. Sozusagen. Preußlers Tochter Susanne Preußler-Bitsch hat das auf 1967 datierte Manuskript im Nachlass ihres Vaters gefunden. Ursprünglich ist die Geschichte als Kasperltheater von wenigen Seiten 1969 in dem Sammelband „Reader’s Digest Jugendbuch“erschienen. Wie man für die Druckfassung nun auf 60 Seiten gekommen ist, ob und wo etwas aus fremder Hand angereichert wurde, das wird nicht so recht klar. Die Erzählung ist denn offen gesagt auch etwas dünn, man schmeckt höchstens noch das Aroma des Originals. Die Auflage beträgt trotzdem 100.000 Exemplare. Die Handlung spielt kurz nach Ende des ersten Bands. Hotzenplotz ist nach 14 Tagen aus dem Spritzenhaus ausgebrochen. Und wieder klingt völlig logisch, wie er argumentiert: 14 Tage ohne Einnahmen, das kann er sich einfach nicht erlauben. Also legt er sich auf die Lauer. Er kann ja gar nicht anders. Kasperl und Seppel wollen ihn erneut fangen, jetzt mit einer aus Pappkartons gebastelten Rakete, was schräg klingt und es auch ist. Mehr soll indes gar nicht verraten werden. Charmant ist immerhin, wie tatkräftig Wachtmeister Dimpfelmoser die Jungs unterstützt: „Falls ihr mich braucht, ich bin bis abends um sechs auf der Polizeiwache.“Das eigentliche Vergnügen an diesem neuen Hotzenplotz liegt ohnehin darin, dass man sich automatisch an den ersten und mit Abstand besten Band erinnert. Allein das Personal: der Pickelhaube tragende Dimpfelmoser. Die Witwe Schlotterbeck. Die Fee Amaryllis. Der Zauberer Petrosilius Zwackelmann, der so gerne seinen Freund in Buxtehude besucht und ansonsten darunter leidet, dass er keine Schalen von Kartoffeln zaubern kann – und das, wo er doch so gerne Kartoffeln isst. Dazu die Wortverdrehungen: Plotzenhotz, Plotzenklotz, Lotzenpotz. Und diese Details, von denen man als Kind gar nicht wusste, was das eigentlich ist: Schnupftabak, Schwammerlsuppe, Spritzenhaus.
Der vor fünf Jahren gestorbene Otfried Preußler, das muss man hier noch einmal sagen, ist ein Gigant gewesen. Er wusste, wie man für Kinder erzählt, wie man sie ernst nimmt und wie man ihr Urvertrauen und ihren Optimismus erhält. Er schrieb ja auch „Die kleine Hexe“, und den „Kleinen Wassermann“, „Das kleine Gespenst“und viel später den lustigen und völlig unterschätzen „Hörbe mit dem großen Hut“. „Räuber Hotzenplotz“wurde übrigens in 34 Sprachen übersetzt, und wer ein bisschen Zeit übrig hat, sollte sich den Spaß machen und mal nachschauen, wie das Personal in anderen Ländern heißt: in der englischen Fassung zum Beispiel „Sergeant Dimplemoser“und „Petrosilius Zackleman“.
Der starke Eindruck, den der UrHotzenplotz hinterließ, ist auch den liebevollen Illustrationen von Franz Josef Tripp (1915 bis 1978) zu verdanken. Der gestaltete den Hotzenplotz als leicht verlotterten Lebemann mit Brusthaar und Gesichtspullover. Die ebenfalls sehr schönen neuen Zeichnungen von Thorsten Saleina empfinden die originale Anmutung respektvoll nach. Der Bart wirkt nun gestutzt, und der Räuber schaut auch nicht mehr so grimmig wie früher. Im Gegenteil: Er lächelt manchmal sogar.
Es geht Hotzenplotz also ganz offensichtlich gut. Und das ist ohnehin die beste Nachricht.