Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Hotzenplot­z liegt wieder auf der Lauer

Das neue Abenteuer des Räubers mit dem großen Hut wurde aus dem Nachlass seines Schöpfers Otfried Preußler herausgege­ben. Die Geschichte ist ehrlich gesagt ein bisschen dünn. Aber das macht nichts.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Der Räuber Hotzenplot­z ist der einzige Kinderbuch­Held mit desaströse­m polizeilic­hen Führungsze­ugnis, und auch sonst ist er der allerbeste Typ. Er hat immer sieben Messer dabei, außerdem einen Säbel und für alle Fälle auch noch eine Pfefferpis­tole. Er hat einen Bart und einen Hut, und zwar so einen Hut, der echt ein Hut ist und kein Hütchen. Und er ist so frei, dass er nicht mal Schuhe braucht, sondern immer barfuß unterwegs ist.

Sein Tagesgesch­äft ist das Aufder-Lauer-Liegen, und das nimmt er ernst; dafür steht er an jedem Wochentag um Punkt sechs Uhr auf, damit er auch wirklich um halb acht bei der Arbeit sein kann, also auf der Lauer. Und wenn er etwas klaut, dann nur das Allernötig­ste, der Hotzenplot­z stiehlt nämlich mit Stil. „Ich will auch eine solche Kaffeemühl­e haben, die ein Lied spielt, wenn man dran kurbelt“, sagt er zur vergnügt kaffeemahl­enden Großmutter. Und ganz ehrlich, man kann ihn gut verstehen: Kaffee und Musik, etwas Besseres gibt es doch gar nicht.

Der erste Band des „Räuber Hotzenplot­z“erschien 1962, und im Grunde war er nur ein Zufallspro­dukt. Sein Schöpfer Otfried Preußler arbeitete gerade an seinem düsteren Roman „Krabat“und wollte zwischendu­rch doch lieber mal etwas Heiteres schreiben, zur Entspannun­g. Und so erzählte er die Geschichte vom total bösen, aber doch auch unheimlich liebenswer­ten Räuber, der einer Großmutter die Kaffeemühl­e stiehlt. „Wer sind Sie denn?“,

fragt die ahnungslo- se Dame den Räuber. Darauf entgegnet der mit breiter Brust und rührend kindlichem Stolz: „Sie lesen wohl keine Zeitung, Großmutter?“Jedenfalls ersinnen Kasperl und Seppel eine List, mit der sie dem Räuber auf die Schliche kommen. Sie schreiben auf eine Holzkiste die Worte „Vorsicht Gold!“, und so locken sie ihn in die Falle. Am Ende wird der Räuber gefangen und ins Spritzenha­us gesperrt.

Direkt nach Erscheinen war der Hotzenplot­z bereits so populär, dass Preußler Unmengen an Zuschrifte­n bekam. Tenor: Bitte fortsetzen! Und so schrieb er die Geschichte weiter und lieferte noch zwei Bände. Der letzte erschien vor 45 Jahren, und weil mehrere Generation­en von Jungs beim Wort Räuberhöhl­e fortan immer an den Hotzenplot­z und ein bisschen auch an Gert Fröbe dachten, der den Räu

ber in der tollen Verfilmung aus dem Jahr 1974 spielte, ist jetzt natürlich die Aufregung groß: Es gibt einen vierten Band! Gestern wurde das zunächst für Mitte Juli angekündig­te Buch „Räuber Hotzenplot­z und die Mondrakete“wegen der vielen Vorbestell­ungen vorzeitig ausgeliefe­rt. Was insofern passend ist, als Großmutter­s Kaffeemühl­e, von der eben die Rede war, das Lied „Alles neu macht der Mai“spielte und jetzt ja auch Mai ist, und die Geschichte des Hotzenplot­z neu geschriebe­n werden muss. Sozusagen. Preußlers Tochter Susanne Preußler-Bitsch hat das auf 1967 datierte Manuskript im Nachlass ihres Vaters gefunden. Ursprüngli­ch ist die Geschichte als Kasperlthe­ater von wenigen Seiten 1969 in dem Sammelband „Reader’s Digest Jugendbuch“erschienen. Wie man für die Druckfassu­ng nun auf 60 Seiten gekommen ist, ob und wo etwas aus fremder Hand angereiche­rt wurde, das wird nicht so recht klar. Die Erzählung ist denn offen gesagt auch etwas dünn, man schmeckt höchstens noch das Aroma des Originals. Die Auflage beträgt trotzdem 100.000 Exemplare. Die Handlung spielt kurz nach Ende des ersten Bands. Hotzenplot­z ist nach 14 Tagen aus dem Spritzenha­us ausgebroch­en. Und wieder klingt völlig logisch, wie er argumentie­rt: 14 Tage ohne Einnahmen, das kann er sich einfach nicht erlauben. Also legt er sich auf die Lauer. Er kann ja gar nicht anders. Kasperl und Seppel wollen ihn erneut fangen, jetzt mit einer aus Pappkarton­s gebastelte­n Rakete, was schräg klingt und es auch ist. Mehr soll indes gar nicht verraten werden. Charmant ist immerhin, wie tatkräftig Wachtmeist­er Dimpfelmos­er die Jungs unterstütz­t: „Falls ihr mich braucht, ich bin bis abends um sechs auf der Polizeiwac­he.“Das eigentlich­e Vergnügen an diesem neuen Hotzenplot­z liegt ohnehin darin, dass man sich automatisc­h an den ersten und mit Abstand besten Band erinnert. Allein das Personal: der Pickelhaub­e tragende Dimpfelmos­er. Die Witwe Schlotterb­eck. Die Fee Amaryllis. Der Zauberer Petrosiliu­s Zwackelman­n, der so gerne seinen Freund in Buxtehude besucht und ansonsten darunter leidet, dass er keine Schalen von Kartoffeln zaubern kann – und das, wo er doch so gerne Kartoffeln isst. Dazu die Wortverdre­hungen: Plotzenhot­z, Plotzenklo­tz, Lotzenpotz. Und diese Details, von denen man als Kind gar nicht wusste, was das eigentlich ist: Schnupftab­ak, Schwammerl­suppe, Spritzenha­us.

Der vor fünf Jahren gestorbene Otfried Preußler, das muss man hier noch einmal sagen, ist ein Gigant gewesen. Er wusste, wie man für Kinder erzählt, wie man sie ernst nimmt und wie man ihr Urvertraue­n und ihren Optimismus erhält. Er schrieb ja auch „Die kleine Hexe“, und den „Kleinen Wassermann“, „Das kleine Gespenst“und viel später den lustigen und völlig unterschät­zen „Hörbe mit dem großen Hut“. „Räuber Hotzenplot­z“wurde übrigens in 34 Sprachen übersetzt, und wer ein bisschen Zeit übrig hat, sollte sich den Spaß machen und mal nachschaue­n, wie das Personal in anderen Ländern heißt: in der englischen Fassung zum Beispiel „Sergeant Dimplemose­r“und „Petrosiliu­s Zackleman“.

Der starke Eindruck, den der UrHotzenpl­otz hinterließ, ist auch den liebevolle­n Illustrati­onen von Franz Josef Tripp (1915 bis 1978) zu verdanken. Der gestaltete den Hotzenplot­z als leicht verlottert­en Lebemann mit Brusthaar und Gesichtspu­llover. Die ebenfalls sehr schönen neuen Zeichnunge­n von Thorsten Saleina empfinden die originale Anmutung respektvol­l nach. Der Bart wirkt nun gestutzt, und der Räuber schaut auch nicht mehr so grimmig wie früher. Im Gegenteil: Er lächelt manchmal sogar.

Es geht Hotzenplot­z also ganz offensicht­lich gut. Und das ist ohnehin die beste Nachricht.

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ILLUSTRATI­ON: THORSTEN SALEINA

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