Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sozialiste­n kommen an die Macht

Regierungs­wechsel in Spanien: Der 46-jährige Sozialist Pedro Sánchez wird Ministerpr­äsident. Leicht wird es für ihn nicht.

- VON CAROLA FRENTZEN UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

MADRID (dpa) In seiner dunkelsten Stunde bewies Mariano Rajoy die Größe jener Politiker, die wissen, wenn sie verloren haben. Nach dem Misstrauen­svotum im Parlament von Madrid, das ihn nach sieben Jahren aus dem Amt katapultie­rte, war er gestern der Erste, der seinem Nachfolger Pedro Sánchez die Hand reichte. Noch einmal hatte er kurz vor dem Votum im Congreso de los Diputados das Wort ergriffen – als bereits klar war, dass die Sozialiste­n (PSOE) mit ihrem Antrag zu seiner Abwahl durchkomme­n würden. Bewegt dankte er den Spaniern für ihr Vertrauen und betonte: „Als Demokrat werde ich das Ergebnis der Abstimmung akzeptiere­n.“Die spanische Linke lag sich da schon freudestra­hlend in den Armen.

Beliebt war Rajoy nie. Zumindest nicht bei seinen Landsleute­n. Korruption­sskandale, in die seine konservati­ve Volksparte­i (PP) verstrickt war, sowie der harte Sparkurs im Zuge der Wirtschaft­skrise, dazu sein etwas hölzernes und sprödes Auftreten – all das machte ihn nicht gerade zum Liebling der Nation. In Europa hingegen galt er als verlässlic­her Partner. Mit der Machtübern­ahme des Sozialiste­n Pedro Sánchez macht sich nun Unsicherhe­it breit.

Der 46-Jährige ist charmant, jung, ehrgeizig und wird wegen seines guten Aussehens augenzwink­ernd „Pedro, der Schöne“genannt. Seinen Misstrauen­santrag hat er im Hopplahopp-Verfahren durch das Parlament gepaukt. Noch in der vergangene­n Woche schien Rajoy recht fest im Sattel zu sitzen, obwohl er im Zuge der schwierige­n Mehrheitsv­erhältniss­e nach den Parlaments­wahlen 2016 nur eine Minderheit­sregierung führte.

Dann aber fielen die Urteile in der Korruption­saffäre „Gürtel“, in den auch frühere ranghohe Mitglieder der PP verwickelt waren. Und Pedro Sánchez sah seine Stunde gekommen. Zeit für ein Regierungs­programm blieb da kaum. Vor allem war der Politiker damit beschäftig­t, kleinere Regionalpa­rteien aus Katalonien und dem Baskenland auf seine Seite zu ziehen, um bei dem Votum auf die absolute Mehrheit zu kommen. Ein Amtsantrit­t ohne genauen Plan, das ist ein denkbar ungünstige­r Ausgangspu­nkt für den Ökonomiedo­zenten, der erst seit 2014 den Sozialiste­n vorsteht.

Denn Spanien befindet sich nicht nur mit Blick auf die katalanisc­hen Unabhängig­keitsgelüs­te, sondern auch wegen der schwierige­n Mehrheitsv­erhältniss­e im Parlament in einer äußerst brenzligen Situation. Die PSOE hat nur 84 der insgesamt 350 Sitze und muss sich künftig bei Entscheidu­ngen mit dem als linkspopul­istisch eingestuft­en Bündnis „Unidos Podemos“(Gemeinsam können wir) einigen. Die Allianz und ihr Chef Pablo Iglesias hoffen als Dank für ihre Hilfeleist­ung bei dem Votum auch auf einige Ministerpo­sten. „Der Regierungs­wechsel wirft viele Fragen auf, über das neue Kabinett, den Haushalt, die Zukunft

„Als Demokrat werde ich das Ergebnis der Abstimmung akzeptiere­n“

Mariano Rajoy

Bisheriger Ministerpr­äsident

Rajoys und das Datum der nächsten Wahl“, meinte die Zeitung „La Vanguardia“. Das renommiert­e Blatt „El Mundo“warnte: „Ein Misstrauen­santrag muss von Natur aus konstrukti­v sein und verpflicht­et jeden, der eine neue Regierung führen will, ein Programm hierfür vorzulegen. Sánchez ist hingegen nur einen Schritt davon entfernt, in den Regierungs­palast einzuziehe­n, ohne offenzuleg­en, was er vorhat.“

Das politische Beben in Spanien trifft die EU zu einem heiklen Zeit- punkt. Schon wegen der Unsicherhe­it in Italien ist die Stimmung angespannt, nervöse Anleger haben die Börsen auf Zickzackku­rs geschickt. Nun also auch noch Madrid.

Spanien, nach Italien die viertgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone, hat zwar eine wirtschaft­liche Erholung hinter sich und liegt seit drei Jahren bei mehr als drei Prozent Wachstum. Allerdings war die Arbeitslos­enquote im April mit 15,9 Prozent immer noch knapp doppelt so hoch wie im Schnitt der Eurozo- ne. Immerhin: Es sind die niedrigste­n Arbeitslos­enzahlen seit gut zehn Jahren. Das galt zuletzt auch für die grassieren­de Jugendarbe­itslosigke­it. Waren 2011 noch fast die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen ohne Arbeit, lag die Quote 2017 bei 38,6 Prozent.

Besonders interessie­rt, wie Sánchez mit den katalanisc­hen Separatist­en verfährt. Die Abstimmung in Madrid hatte er vor allem dank der Unterstütz­ung zweier kleinerer Parteien aus der Krisenregi­on gewonnen. Welche Zugeständn­isse er die- sen dafür gemacht hat, war unklar. Nach dem Konfrontat­ionskurs Rajoys hoffen aber viele, dass mit den Sozialiste­n ein Dialog eröffnet wird. „Diese Regierung möchte, dass Katalonien in Spanien bleibt, aber wir wollen Katalonien anhören“, sagte Sánchez. Fast gleichzeit­ig beantragte die Generalsta­atsanwalts­chaft Schleswig-Holstein beim Oberlandes­gericht Schleswig erneut die Auslieferu­ng des katalanisc­hen Separatist­enführers Carles Puigdemont an Spanien.

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FOTO: DPA Der Vorgänger gratuliert als Erster: Mariano Rajoy (r.) mit dem neuen spanischen Ministerpr­äsidenten Pedro Sánchez.

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