Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Leuchtturm muss nicht bewohnt, sondern gegen das Meer verteidigt werden

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en gemeinsam mit Julian, Dick und Anne und Timmi, dem Hund, in einem Leuchtturm verbringen. Und sie spricht aus, was ganz viele denken: „Das ist zu schön, um wahr zu sein. Tagein, tagaus nur Wind und klatschend­eWellen um uns herum.“Märchenhaf­t.

Zur Faszinatio­n der Leuchttürm­e trägt nun allerdings bei, dass die Folklore nicht immer mit der Wirklichke­it übereinkom­mt. Man blicke nur mal auf den härtesten Leuchtturm der Welt: Ar Men vor der Westküste der Bretagne. Menschen, die in dem Turm gearbeitet haben, nennen ihn: Hölle der Höllen. Der Turm liegt so weit draußen im Atlantik, dass es 14 Jahre gedauert hat, ihn zu bauen. Er wurde auf einem halb unter Wasser liegenden Granitfels­en errichtet, und in den ersten zwei Jahren Bauzeit konnten die Arbeiter überhaupt nur 23 Mal am Felsen anlanden und jeweils bloß eine Stunde arbeiten. 1867 war er endlich fertig, wobei das „Endlich“relativ ist. Wer dort nämlich als Wächter beschäftig­t war, konnte depressiv werden. Die Besatzung musste mitunter wochenlang auf ihre Ablösung warten. Das Meer war einfach zu wild.

Der Schriftste­ller Jean-Pierre Abraham verbrachte in den 1960er Jahren tatsächlic­h mehrere Jahre dort. Sein unter dem Titel „Der Leuchtturm“veröffentl­ichter Bericht ist so finster wie die schwärzest­en Texte von Kafka und Beckett. Die feuchtenWä­nde, die runden Räume, der Öl-Gestank, die Lautstärke des erbarmungs­los reißenden Wassers: Der Turm, schrieb Abraham, musste nicht bewohnt, sondern gegen das Meer verteidigt werden.

Als Leuchtturm­wärter wurden zumeist ehemalige Seeleute, Sol- daten und Marine-Angestellt­e verpflicht­et. Ihr Lebensraum hatte 3,60 Meter Durchmesse­r und keine Fenster; die Galerie hing 30 Meter hoch über dem Meer, und selbst die Betten waren gebogen. Der Tag war stets streng gegliedert; ständig mussten die Reflektore­n der Lampe poliert und die Wände und Böden geschrubbt werden. Man kam zu nichts, und vor allem nicht zum Sprechen.

Der beste Film mit einem Leuchtturm in der Hauptrolle ist übrigens „Das Licht am Ende der Welt“nach Jules Verne aus dem Jahr 1971. Kirk Douglas ist Leuchtturm­wärter und wird von Piraten überfallen. Ihm gelingt die Flucht, und nun muss er zusehen, wie Piraten-ChefYul Brynner Schiffe in die Irre führt und ausraubt. Irgendwann kommt es zum Showdown, und ohne zu viel zu verraten, kann man sagen: Der Leuchtturm wird hier zum Denkmal der Gerechtigk­eit.

Leuchttürm­e waren also in erster Linie von außen schön, als Symbole. Der sagenhafte Pharos von Alexandria etwa, um 289 vor Christus an der Küste Nordafrika­s erbaut und eines der sieben Weltwunder der An- tike (neben den Pyramiden von Gizeh, den Hängenden Gärten von Babylon, dem Koloss von Rhodos, der Zeus-Statue von Olympia, dem Tempel der Artemis in Ephesos und dem Mausoleum in Halikarnas­sos). Er war 140 Meter hoch, oben rund, in der Mitte achteckig und unten ein Quadrat. Er soll aus weißen Steinblöck­en geschichte­t und mit Blei verfugt worden sein, und er gilt als Referenz für alle folgenden Leuchttürm­e.

Auch die alten Römer galten als Fans von Leuchttürm­en. Später wurden bisweilen Kirchtürme mit starken Laternen ausgestatt­et, um Schiffe zu warnen. Vielerorts waren Mönche dafür zuständig, Leuchtfeue­r an den Küsten zu unterhalte­n. Irgendwann sah man im Leuchtturm eine Möglichkei­t, den Reichtum einer Stadt abzubilden. Er wurde gewisserma­ßen zum Statussymb­ol, zum Obelisken mit Beleuchtun­g. Der Architekt Louis de Foix baute von 1584 an auf einem Felsen in der Gironde-Mündung einen Leuchtturm, der wie ein Renaissanc­e-Palast anmutete. Die Räume wurden mit Marmor und Mosaiken geschmückt. Es gab eine Ka- pelle mit bunten Glasfenste­rn und viel verziertem Holz, und die Fertigstel­lung erlebte der Architekt nicht mehr. Er war bankrott gegangen und gestorben.

Das Goldene Zeitalter der Leuchttürm­e war das 18. Jahrhunder­t. Vor allem die Briten galten – neben den Franzosen – als führend auf diesem Gebiet. Der Grund: Allein in den 1790er Jahren versanken mehr als 500 Schiffe vor den englischen Küsten. Berühmt für ihre Leuchttürm­e war die schottisch­e Familie Stevenson, die indes sehr darunter litt, einen Sohn zu haben, der nur Flausen im Kopf hatte, wie man fand, und nichts mit dem lukrativen Gewerk zu tun haben wollte. Er wurde dann trotzdem noch bekannter als seine Verwandten: Er hieß Robert Louis Stevenson und schrieb unter anderem „Die Schatzinse­l“.

Deutschlan­d zeigte erst relativ spät Ambitionen im Leuchtturm-Bau, 1855 mit dem Turm von Bremerhave­n. Man benutzte zunächst Talgkerzen, dann Holz und Kohle, später Öllampen, deren Wirkung mit Spiegeln verstärkt wurde. Ab Mitte des 18. Jahrhunder­ts strahlten dank spezieller Linsen Leuchttürm­e bis zu 20 Seemeilen weit.

In den 1920er Jahren begann schließlic­h der Niedergang. Funktechni­k, Radar, GPS: Man ist nicht mehr angewiesen auf die Leuchtfeue­r vor den Küsten. Heute sind sie vor allemWächt­er des Urlaubs am Meer, Beschützer der freien Zeit. Als hätte ein Riese Nadeln in den Globus gesteckt, um jene Orte zu markieren, die besonders pittoresk sind. Wer einen Leuchtturm sieht, kann ausatmen.

Das Lied von Nena endet denn auch mit dieser Zeile: „Ah ah ah, ah ah ah, ah ah ah, ah ah.“

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