Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Viele seiner Lieder würden sicher auch den Feldlerche­n gefallen

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zuliebe gekommen sind, und Superdads, die ihre Töchter begleiten müssen und ständig denken: Ganz schön teure Karten, und Bäume lässt er für seine Konzerte angeblich auch fällen.

Ed Sheeran tritt vor 52.000 Fans in der Veltins Arena in Gelsenkirc­hen auf. Es ist das erste von zwei Konzerten. Zunächst hatte das Ereignis in Mülheim stattfinde­n sollen, aber das hätte der Feldlerche und dem Steinschmä­tzer geschadet. Dann wollte man nach Düsseldorf umziehen, aber da hätten zu viele Bäume dran glauben müssen. Man könnte fast meinen, die Natur habe etwas gegen Sheeran. Zumal der 27-Jährige daheim auf seinem Anwesen in Suffolk eine Kapelle für die Verlobung mit seiner Jugendfreu­ndin Cherry Seaborn nicht bauen durfte, weil das schlecht für die dort ansässigen Kamm-Molche gewesen wäre. Immerhin kann wenigstens das Konzert stattfinde­n, jetzt also auf Schalke.

Sheeran beeindruck­t vom ersten Moment an. Er tritt ohne Band, Tänzer und Background­sänger auf. Er schlägt einen Beat auf den Korpus seiner Akustikgit­arre, nimmt ihn mit einer Loopstatio­n auf und spielt ihn in Dauerschle­ife ab, dazu Handclaps und Hintergrun­d-Gesang. Drei bis vier Tonspuren benutzt er und begleitet sich auf diese Weise selbst; er ist sein eigenes Orchester. „Alles live“, sagt er, das ist ihm wichtig. Er ist der Junge mit der Gitarre.

Zum Einstieg bringt er „Castle On The Hill“, das Lied über sein Heimatdorf. Die Leute sind direkt aus dem Häuschen, man spürt bemerkensw­ert viel Zuneigung im Stadion. Es ist, als stehe da vorne ein Freund. Das Publikum ist größtentei­ls weiblich und im Durchschni­tt gar nicht so jung, wie mancher erwartet haben mag. Und tatsächlic­h sieht man hier einigen Helden des Alltags beim Großeinsat­z zu: nicht nur Superdads, auch Supermoms.

Da ist der Vater, dessen Tochter ihre Espadrille­s auszieht und neben sich hinstellt. „Das ist aber gefährlich“, warnt er, aber sie schaut nur zum Himmel, seufzt und bleibt barfuß. Da ist die Mutter, die mit dem Handy gern ein Panoramabi­ld machen würde, aber nicht weiß, wie das geht. Die Tochter nimmt ihr wortlos das Gerät ab, wischt einmal, gibt es der Mutter seelenruhi­g zurück, dann klappt es. Da ist die Mutter, die ihren Sohn von der Bühne wegschiebe­n will, weil sie meint, der Sound sei weiter hinten viel besser. „Bitte, Mama!“, sagt er leicht verzweifel­t, und natürlich bleiben sie, wo sie sind. Und da ist der Vater, der der Tochter ein Fan-T-Shirt für 30 Euro kauft und mit einem schönen Satz belohnt wird: „Weißt Du, wie happy ich jetzt bin?“

Sheeran lässt Projektion­en über mächtige Leinwände schicken, eine Straße, das Weltall und Rosen bei „Perfect“, dem Lied über seine Verlobte. Er hat keine Angst vor Kitsch und der großen Romantik-Oper. Manchmal schmeichel­t er, ab und an rappt er, und wenn er es nicht mehr aushält, hüpft er auf einen Monitor. „Er süppelt wie ein Pferd!“, sagt eine Besucherin, und sie hat Recht, denn Sheeran greift sich nach jedem Song eine neue Flasche Wasser. Er wischt sich auch sehr oft den Schweiß aus dem Gesicht: Das hier ist Arbeit. Er schließt bei Liebeslied­ern die Augen: Meine Gefühle sind echt. Manchmal stampft er mit dem Fuß auf: „Sag nicht, du brauchst mich, wenn du es nicht glaubst“, singt er.

Er macht lange Ansagen. Deutschlan­d möge er so gerne, weil es den Menschen dort um die Musik gehe und nicht um das Event. 2011 habe er das erste Konzert hierzuland­e gegeben, damals seien 200 Leute gekommen. Er lacht, alle lachen, und als er sagt, dass Lachen das Beste ist, was Menschen machen können, gibt es Applaus. Mancher Boyfriend guckt an dieser Stelle auf die Uhr.

Ed Sheeran ist der Popstar für alle, die eigentlich ganz zufrieden sind mit ihrer Welt. Es gibt keine Ironie bei ihm, keinen Sarkasmus und keinen Fake. Er steht für Handwerk und Ehrlichkei­t, und dass das natürlich auch bloß Inszenieru­ng ist, vergisst man bald. Wenn Rock ’n’ Roll einst ein Mittel war, um sich von den Eltern abzugrenze­n, ist es nun Medium der Übereinkun­ft. Pop drückt hier eine Sehnsucht nach Wahrhaftig­keit aus, nach Eindeutigk­eit und Harmonie. Kurz denkt man, dass die Welt schöner sein könnte, wenn es überall zuginge wie auf einem Konzert von Ed Sheeran. Ein minibissch­en langweilig­er vielleicht, aber möglicherw­eise auch schöner.

Sheeran spielt einige Lieder, die auch Feldlerche­n gefallen dürften. Er singt „I See Fire“aus dem „Hobbit“-Soundtrack. Die Fans benutzen ihre Handys als Taschenlam­pen, elektronis­che Glühwürmch­en, und das Ergebnis sieht toll aus: Es ist Technik, aber es rührt an. Nach rund zwei Stunden tauscht Sheeran das verschwitz­te T-Shirt gegen ein Deutschlan­d-Trikot und bringt „Shape Of You“als Zugabe.

Ob sie bei der ganzen Filmerei überhaupt etwas vom Konzert mitbekomme­n habe, fragt ein Vater seine halbwüchsi­ge Tochter beim Rausgehen. Sie stöhnt. Es wird noch ein bisschen dauern, bis sie erkennt, wer wirklich der Held dieses Abends war.

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